{"id":7683,"date":"2024-04-09T10:46:10","date_gmt":"2024-04-09T08:46:10","guid":{"rendered":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/?p=7683"},"modified":"2024-04-09T10:46:15","modified_gmt":"2024-04-09T08:46:15","slug":"gefangenenverguetung","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/staging.examensgerecht.de\/gefangenenverguetung\/","title":{"rendered":"Gefangenenvergütung"},"content":{"rendered":"

BVerfG, Urteil vom 20.06.2023 – 2 BvR 166\/16 und 2 BvR 1683\/17, NJW 2023, 2405\n\n\n\n

Sachverhalt\n\n\n\n
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(Gekürzt und abgewandelt)\n\n\n\n

12 von 16 Bundesländern sehen eine Arbeitspflicht für Strafgefangene im Vollzug vor. Die Vergütung in Bundesland B ist gesetzlich zwischen 1,37 und 2,30€ pro Stunde festgesetzt. Außerdem können den Strafgefangenen nach diesem Gesetz bei geleisteter Arbeit auch nicht-monetäre Vergütungen gewährt werden – so werden bis zu acht Freistellungstage im Jahr vorgesehen, die unter bestimmten, eng geregelten Voraussetzungen auf den Entlassungszeitpunkt angerechnet werden und die zu vollstreckende Freiheitsstrafe entsprechend verkürzen können. \n\n\n\n

Der Strafgefangene A arbeitet freiwillig in einer eigens vom Strafvollzug betriebenen Druckerei in B. Dort hatte der Beschwerdeführer erfolglos eine Erhöhung der Vergütung beantragt. Der Druckereibeitrieb bezahle die JVA mit über 11€ für jede geleistete Stunde, die ein Gefangener ableistet, während er nur einen Bruchteil des Geldes bekäme. A argumentiert, dass die niedrige Vergütung seine Möglichkeit zur Wiedereingliederung erheblich beeinträchtigte – die Vergütung sei nicht einmal ausreichend, um Schulden, wie z.B. die entstandenen Gerichtskosten oder Unterhaltszahlungen, abzutragen. Zumal die Vergütung seit 2001 im Wesentlichen unverändert geblieben ist, während die finanziellen Belastungen für Gefangene beispielsweise durch generelle Preissteigerungen erheblich zugenommen habe. Der Gesetzgeber müsse ein widerspruchsfreies und schlüssiges Resozialisierungskonzept entwickeln und dürfe dies nicht den JVAen überlassen. \n\n\n\n

B entgegnet, dass eine Erhöhung der Vergütung resozialisierungsfeindlich wirken könnte: Wäre die Vergütung zu hoch, könnte die daraus folgende mangelnde Wettbewerbsfähigkeit die Betriebe gefährden, sodass es letztendlich zum Wegfall von Arbeitsplätzen für Gefangene käme. Schon jetzt würden die Betriebe bezuschusst, da die Produktivität der Gefangenenarbeit weit hinter der vergleichbaren gewerblichen Wirtschaft zurückbleibe. Außerdem könne die Vergütung auch „nicht monetär“ erfolgen.\n\n\n\n

Nachdem A ebenso erfolglos versucht hat einfachgerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen, wendet er sich nun frist- und formgerecht an das Bundesverfassungsgericht. \n\n\n\n

Mit Erfolg?   \n\n\n\n\n\n


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Skizze\n\n\n\n\n\n

Gutachten\n\n\n\n
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Die Beschwerde des A vor dem BVerfG hat Erfolg, wenn sie zulässig und soweit sie begründet ist.\n\n\n\n

A. Zulässigkeit\n\n\n\n

I. Zuständigkeit des BVerfG\n\n\n\n

Das Bundesverfassungsgericht ist gem. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG i.V.m. § 13 Nr. 8a, §§ 90 ff. BVerfGG für Individualverfassungsbeschwerden zuständig. \n\n\n\n

II. Beschwerdefähigkeit\n\n\n\n

Gem. § 90 Abs. 1 BVerfGG ist „jedermann“ und somit auch A als natürliche Personen beschwerdefähig. \n\n\n\n

III. Beschwerdegegenstand\n\n\n\n

Beschwerdegegenstand kann jeder Akt der öffentlichen Gewalt sein. Hier hat A bereits versucht sich einfachgerichtlich gegen die ablehnende Entscheidung zu wenden. Somit ist der Beschwerdegegenstand das letztinstanzliche Urteil.\n\n\n\n

IV. Beschwerdebefugnis\n\n\n\n

Der Beschwerdeführer müsste hinreichend geltend machen, dass er durch diese Entscheidung in seinen Grundrechten verletzt worden ist. \n\n\n\n

1. Möglichkeit der Grundrechtsverletzung\n\n\n\n

Eine Grundrechtsverletzung müsste möglich sein. Hier ist nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass A durch die Entscheidung in seinem Grundrecht aus Art. 12 III GG und seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt ist.\n\n\n\n

2. Betroffenheit\n\n\n\n

A müsste auch selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen sein. Dies ist bei Urteilsverfassungsbeschwerden regelmäßig der Fall.\n\n\n\n

V. Rechtswegerschöpfung\n\n\n\n

Die Verfassungsbeschwerde müsste dem Erfordernis der Rechtswegerschöpfung aus § 90 Abs. 2 BVerfGG sowie der Subsidiarität gerecht werden. Laut Sachverhalt hat A den Rechtsweg erschöpft. Hinsichtlich der Subsidiarität liegen keine Bedenken vor.\n\n\n\n

VI. Form- und fristgerechte Erhebung\n\n\n\n

Die Verfassungsbeschwerde wurde auch form- und fristgerecht i.S.d. §§ 23, 93 BVerfGG eingereicht.\n\n\n\n

VII. Zwischenergebnis\n\n\n\n

Die Verfassungsbeschwerde des A ist daher zulässig. \n\n\n\n

II. Begründetheit\n\n\n\n

Die Beschwerde ist begründet, wenn und soweit rechtswidrig in As Grundrechte eingegriffen worden ist.\n\n\n\n

I. Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts\n\n\n\n

1. Schutzbereich\n\n\n\n

Die Regelung könnte in den Schutzbereich des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (APR) eingreifen. Das APR schützt die freie Entfaltung der Persönlichkeit und deren Grundbedingungen im Rahmen der engeren Lebenssphäre. In diesem Rahmen wurden von der Rechtsprechung verschiedene Fallgruppen entwickelt. Darunter fällt auch das Resozialisierungsgebot. Die Verfassung gebietet, den Strafvollzug auf das Ziel der Resozialisierung der Gefangenen auszurichten.[1]BVerfG, NJW 2023, 2405, Rn. 154.