BGH, Beschluss vom 5.6.2019 – 1 StR 34/19 – BGH NJW 2019, 3659
Sachverhalt
T verteilt in fünf verschiedenen Supermarktfilialen von ihm mit Gift präparierte Babynahrungsgläschen. Rein optisch sind die vergifteten Babygläschen von normalen Gläschen nicht zu unterscheiden. Das Gift ist farb- und geruchsneutral und hat einen süßlichen Geschmack. Unmittelbar danach verschickt T eine anonyme E-Mail an das Bundeskriminalamt, eine Verbraucherschutzorganisation sowie die entsprechenden Einzelhandelskonzerne. Er beschreibt sein Vorgehen – unter Benennung der exakten Marke und Geschmacksrichtung, nicht aber der konkret betroffenen Filialen. Zudem kündigt er eine baldige Wiederholung dieses Vorgehens mit mehr Gläschen an. Mit Verweis darauf fordert er von den betroffenen Unternehmen die Zahlung eines Betrages in Millionenhöhe. Kämen sie dem nach, so werde er die Behörden rechtzeitig über die Standpunkte der Gläschen informieren und keiner „würde zu Schaden kommen“. Die daraufhin eingeleiteten Ermittlungsmaßnahmen werden durch die Vielzahl der Filialen erschwert. Schließlich können drei Gläschen am Sonntag, die restlichen am Dienstagabend gefunden werden. Es wird weder die Forderung des T erfüllt, noch findet die zweite angekündigte Tat statt, da er davor identifiziert und festgenommen werden kann.
Strafbarkeit des T?
Skizze
Gutachten
A. Strafbarkeit gem. §§ 212 I, 211, 25 I 2, 22, 23 I StGB
Zunächst könnte sich T des versuchten Mordes in mittelbarer Täterschaft gem. §§ 212 I, 211, 25 I 2, 22, 23 I StGB strafbar gemacht haben, indem er die Gläschen mit vergifteter Babynahrung in den Supermärkten verteilt.
I. Vorprüfung
1. Versuchsstrafbarkeit
Der Versuch des Mordes ist gem. §§ 23 I, 12 StGB strafbar, da es sich bei dem Mord um ein Verbrechen mit einer Mindestfreiheitsstrafe über einem Jahr handelt.
2. Nichtvollendung
Die Tat ist auch nicht vollendet, da der Taterfolg des Todes eines Menschen ausblieb.
II. Tatbestand
1. Tatentschluss
T müsste auch mit Tatentschluss, also vorsätzlich gehandelt haben.
a) Bzgl. des Erfolgs und der kausalen Handlung
T nahm den Erfolg, also den Tod von Babys durch die vergiftete Nahrung, auch wenn er ggf. darauf hoffte zuvor die von ihm geforderte Geldsumme zu erhalten und den Tod zu verhindern, zumindest billigend in Kauf (dolus eventualis). T müsste zudem Vorsatz bzgl. der Begehung der Tat in mittelbarer Täterschaft gem. § 25 I 2 StGB gehabt haben, da T das Gift den Babys nicht selbst verabreichen will. Auch ist die vorliegende Konstellation von den klassischen Giftfallen-Fällen zu unterscheiden, wo der Täter ein Gift bereitstellt, was dann von dem Opfer – freilich ohne Kenntnis – zu sich genommen wird. In solchen Fällen ist umstritten, ob es sich um eine mittelbare Täterschaft im Zwei-Personen-Verhältnis handelt, bei dem das Opfer gleichzeitig das tatbestandslose Werkzeug gegen sich selbst ist.[1]So Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 43 Rn. 9 f; vgl. zu weiteren Nachweisen Putzke JuS 2009, 985, 990.
Vernetztes Lernen: In welchen Konstellationen begegnet einem die mittelbare Täterschaft im Zwei-Personen-Verhältnis besonders häufig?Hier hingegen dürfte der T davon ausgehen, dass die Babys die Nahrung nicht von alleine zu sich nehmen, sondern von ihren Eltern gefüttert werden. Über die Eltern wollte T insofern eine Wissensherrschaft ausüben, als diese bei der Verfütterung der Nahrung, nicht um ihre Tödlichkeit wussten. Nach dem Plan des T sind die Eltern der Babys also vorsatzlos dolos. Daher hatte T auch Vorsatz bzgl. der Begehung in mittelbarer Täterschaft.[3]BGH NJW 2019, 3659 hat im vorliegenden Fall § 25 I 2 StGB unerwähnt gelassen. Eine präzise Lösung dürfte diesen aber zu erwarten lassen.
b) Bzgl. der Mordmerkmale
aa) (P) Heimtücke
T könnte auch Vorsatz bzgl. des Mordmerkmals der Heimtücke gehabt haben. Heimtücke ist das bewusste Ausnutzen der Arg- und Wehrlosigkeit des Tatopfers zum Zeitpunkt der Tötungshandlung. Zum Teil wird als zusätzliches einschränkendes Merkmal eine feindliche Willensrichtung oder ein verwerflicher Vertrauensbruch gefordert. Die h. M. will zusätzliche Einschränkungen auf Rechtsfolgenseite vornehmen.[4]Zur Gebotenheit und Ansätzen einer restriktiven Auslegung der Heimtücke Rengier, Strafrecht Besonderer Teil II, 21. Aufl. 2020, § 4 Rn. 32 ff.
Fraglich ist hier schon, ob die Babys nach dem Tatplan des T im Moment des Verfütterns der Babynahrung arglos sind. Arglos ist, wer sich zum Zeitpunkt der Tat keines Angriffs Seitens des Täters versieht. Gleichzeitig setzt es aber voraus, dass das Opfer in der Lage ist Argwohn zu entwickeln. Insofern ist es aber Kleinstkindern und Babys nicht möglich anderen misstrauen und deshalb argwöhnisch zu sein. Dennoch lässt sich argumentieren, dass zumindest dann Heimtücke infrage kommt, wenn natürliche Abwehrinstinkte des Babys gezielt ausgeschaltet werden, etwa indem ein Gift, dass sich üblicherweise durch einen bitteren Geschmack auszeichnet gezielt gesüßt und geschmacksneutral gemacht wird, um ein Ausspucken durch das Baby zu verhindern.[5]BGH NJW 1955, 1524, 1525. Gegen diese Ansicht wird zum Teil angeführt, dass sie eine zufällige Grenze ziehe und sich an „Geschmacksfragen orientiere“, weshalb der Instinkt nicht mit Argwohn gleichzusetzen sei.[6]Rengier, Strafrecht Besonderer Teil II, 21. Aufl. 2020, § 4 Rn. 28 m.w.N.
Heimtücke kann daneben aber auch angenommen werden, wenn das Tatopfern konstitutionell nicht zu Argwohn fähig ist, aber das Heimtückische Verhalten sich gegen einen schutzbereiten Dritten richtet.[7]BGH NStZ 2013, 158, 159. Schutzbereite Dritte sind Personen, die den Schutz eines anderen vor Leibes- oder Lebensgefahren übernommen haben und den Schutz im Augenblick der Tat ausüben. Jedenfalls präparierte T die Gläschen so, dass auch die Eltern der Babys keinen Verdacht schöpfen sollten. Daher ist der Tatentschluss bezüglich der Heimtücke zu bejahen.
Vernetztes Lernen: Können Schlafende und Bewusstlose arglos sein?bb) Habgier
Zudem könnte T habgierig handeln. Habgier ist das rücksichtslose Streben nach Vermögensvorteilen zum Preis eines Menschenlebens.[10]BGH NJW 1981, 932. Auch wenn die Zahlung der geforderten Summe den T dazu verleitet hätte, die Gläschen wieder aus dem Verkehr zu nehmen, hat der T die Leben der Babys aufs Spiel gesetzt, um nach Vermögensvorteilen zu streben. Daher liegt Habgier vor.
cc) Ermöglichungsabsicht
Letztlich könnte T mit Ermöglichungsabsicht gehandelt haben. Eine Ermöglichungsabsicht wird dadurch gekennzeichnet, dass der Täter die Tötung als funktionales Mittel einsetzt, um durch eine weitere Tathandlung weiteres kriminelles Unrecht begehen zu können.[11]Rengier, Strafrecht Besonderer Teil II, 21. Aufl. 2020, § 4 Rn. 49. Problematisch könnte auf den ersten Blick sein, dass der T nicht versuchte durch die Tötung der Babys eine räuberische Erpressung (s. u.) zu begehen, sondern die Tötung als Drohmittel verwenden will. Es ist aber nicht zu fordern, dass die Tötung notwendiges Mittel zur Begehung der anderen Straftat ist. Vielmehr soll es ausreichen, dass der Täter sich deshalb für die zum Tode führende Handlung entscheidet, weil er glaubt, auf diese Weise eine andere Straftat auch nur leichter oder schneller begehen zu können.[12]BGH NJW 1993, 1724, 1725; Rengier, Strafrecht Besonderer Teil II, 21. Aufl. 2020, § 4 Rn. 51 m.w.N. Denn auch so stellt hier der T den verwerflichen Funktionszusammenhang zwischen der räuberischen Erpressung und der angedrohten Tötung her. Folglich ist auch Ermöglichungsabsicht zu bejahen.
2. (P) Unmittelbares Ansetzen
T müsste zur Tat auch unmittelbar angesetzt haben. Ein unmittelbares Ansetzen liegt vor, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „jetzt geht´s los“ überschreitet und objektiv – nach seinem Tatplan – keine wesentlichen Zwischenakte mehr notwendig sind, um zur Tatbestandserfüllung zu führen.[13]Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 34 Rn. 22. Bei dem vorliegenden Fall handelt es sich indessen um die Konstellation einer mittelbaren Täterschaft, bei der der Zeitpunkt der Versuchsbeginns umstritten ist. Nach der Gesamtlösung ist wie bei der Mittäterschaft der Täter mit dem Werkzeug zu einer Einheit verbunden, sodass der Versuch erst dann beginnt, wenn das Werkzeug selbst die Schwelle des § 22 StGB überschreitet.[14]Kühl, Strafrecht Allgemeiner Teil, 8. Aufl. 2017, § 20 Rn. 90 ff. m.w.N. Nach der (weiten) Einzellösung soll es auf das Verhalten des Hintermannes ankommen und der Versuchsbeginn daher in dem Moment liegen, in dem er auf das Tatwerkzeug einwirkt.[15]Dazu Puppe, in: FS Dahs, 2005, 173 ff.
Die Rspr. und h.M. vertritt mit unterschiedlichen Abstufungen eine vermittelnde Ansicht, die von einer Einzellösung ausgeht. Es wird aber gefordert, dass der auf das Werkzeug einwirkende Hintermann das Werkzeug aus seiner Sphäre entlässt, er also den Geschehensverlauf aus der Hand gibt.[16]Heinrich, Strafrecht Allgemeiner Teil, 6. Aufl. 2019, Rn. 751 m.w.N. Eine weitere Einschränkung soll dadurch erreicht werden, dass in Fällen, in denen aus Sicht des Täters eine Schädigung des Opfers nicht alsbald nach „Losschicken“ sondern erst in zeitlicher Distanz erwartet wird, der Versuchsbeginn erst im Zeitpunkt der konkreten Gefährdung des Opfers liegt.[17]Wessels/Beulke/Satzger, Strafrecht Allgemeienr Teil, 49. Aufl. 2019, Rn. 969 ff. m.w.N. Für die Gesamtlösung wird vorgebracht, dass der mittelbare Täter im Versuch nicht enger haften dürfe, als der Anstifter, der streng akzessorisch mit der Haupttat in den Versuch eintritt. Dagegen kann aber eingewandt werden, dass der mittelbare Täter gerade im Unterschied zum Anstifter die Tatherrschaft durch die Einflussnahme auf das Werkzeug innehat und deshalb eine strengere Haftung angemessen ist.[18]Dazu Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 36 Rn. 5 f.
Gegen die (weite) Einzellösung spricht eine erhebliche Vorverlagerung der Strafbarkeit auch in den von der Rechtsgutsgefährdung entfernten Bereich. Daher ist der vermittelnden Ansicht zu folgen. Im vorliegenden Fall besteht die Besonderheit darin, dass zwar eine Drei-Personen-Konstellation der mittelbaren Täterschaft vorliegt, der T aber wie im klassischen Giftfallen-Fall nicht auf die Eltern einwirkt, sie nicht einmal konkretisiert hat. Die Meinungen lassen sich aber zu großen Teilen übertragen[19]Zum Ganzen Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 34 Rn. 45 ff.: So würde eine weite Ansicht auf das Platzieren der vergifteten Gläschen abstellen. Eine enge Ansicht würde den Versuchsbeginn dann sehen, wenn die Giftfalle zur Wirkung gelangt, also verfüttert wird. Und eine vermittelnde Ansicht würde auf den Moment abstellen, in dem die Gläschen platziert wurden und der T den Geschehensablauf durch Verlassen der Filialen aus der Hand gab und eine Gefährdung der Babys in Aussicht stand. Daher hat der T unmittelbar zur Tat angesetzt.
Vernetztes Lernen: In welchen Konstellationen gelangt die Zwischenaktsformel an ihre Grenzen?– Mittelbare Täterschaft
– Distanzfälle
– Unterlassen
In diesen Konstellationen kann dir, wenn dir der genaue Meinungsstand in der Klausur nicht bekannt ist, eine Orientierung an der Gefährdungs- und Sphärentheorie helfen, deine Argumentation im Einzelfall zu entwickeln. Damit gelangst du mit einer guten Chance zu einer vertretbaren vermittelnden Lösung.
III. Rechtswidrigkeit
T handelte auch rechtswidrig.
IV. Schuld
T handelte auch schuldhaft.
V. Rücktritt
T könnte aber gem. § 24 StGB strafbefreiend vom versuchten Mord zurückgetreten sein, indem er eine Mail an verschiedene Stellen übermittelte, die jedenfalls derart genaue Informationen beinhaltete, dass ein Auffinden der präparierten Gläschen möglich war, bevor eines verfüttert wurde.
1. Kein fehlgeschlagener Versuch
Zunächst dürfte der Versuch nicht fehlgeschlagen sein. Der Versuch ist fehlgeschlagen, wenn der Täter den Taterfolg nach seinen Vorstellungen mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln nicht mehr oder zumindest nicht mehr im räumlich und zeitlichen Zusammenhang herbeiführen kann.[20]Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 37 Rn. 15. Hier konnte der gebilligte Tod der Babys durchaus nach Platzieren der Gläschen eintreten, sodass der Versuch nicht fehlgeschlagen ist.
2. Anforderungen an die Rücktrittshandlung
Fraglich ist, welche Anforderungen an die Rücktrittshandlung des T zu stellen sind.
a) (P) Rücktritt einzelner oder mehrerer
Zunächst ist zu klären, ob es sich um einen Rücktritt eines Einzelnen handelt, dann würden sich die Voraussetzungen nach § 24 I StGB richten. Wenn es sich um einen Rücktritt mehrerer handelt, richten sich die – vergleichsweise strengeren – Anforderungen hingegen nach § 24 II StGB. Ob die Rücktrittsanforderungen für den mittelbaren Täter nach § 24 II StGB zu bemessen sind, ist umstritten. Dafür könnte die ratio des § 24 II StGB sprechen, strengere Voraussetzungen wegen der erhöhten Gefährlichkeit bei mehreren Tatbeteiligten zu setzen. Denn der mittelbare Täter müsse die Tat durch das Werkzeug verhindern. Diesem Umstand kann indessen aber auch in Abs. 1 Rechnung getragen werden. Daher ist nach richtiger und differenzierender Auffassung Abs. 2 nur in den Fällen des Täters hinter dem Täter anzuwenden, da das Opfer hier tatsächlich zwei freiverantwortlichen Tätern gegenübersteht.[21]Vgl. zum Ganzen und m.w.N. Kühl, in: Lackner/Kühl, 29. Aufl. 2018, § 24 Rn. 25. Erst recht müsste das in unserem Fall gelten, da hier die besondere Konstellation zwischen klassischer mittelbarer Täterschaft und Giftfallen-Fall zu beachten ist; der T hat gerade nicht auf den Tatmittler (jeweiliges Elternteil) eingewirkt. Daher richten sich die Anforderungen an die Rücktrittshandlung nach Abs. 1.
b) Unbeendeter oder beendeter Versuch
Zu fragen ist sodann innerhalb des Abs. 1, ob der Versuch beendet oder unbeendet ist. Beendet ist der Versuch dann, wenn der Täter nach seiner Vorstellung alles für die Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges Erforderliche getan hat und den Erfolgseintritt für möglich hält.[22]Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 37 Rn.32. Durch das Verteilen der vergifteten Gläschen dürfte es der T aus seiner Sicht alles Erforderliche getan haben, damit es ohne weitere Akte seinerseits zu tödlichen Vergiftungen von Babys kommt. Daher ist der Versuch beendet und eine einfache Aufgabe der weiteren Tatausführung gem. § 24 I 1 Alt. 1 StGB reicht nicht mehr aus.
c) (P) Anforderungen an die Verhinderungshandlung
Vielmehr muss T die Vollendung der Tat gem. § 24 I 1 Alt. 2 StGB verhindern. Hier hat der T eine Mail an das Bundeskriminalamt, eine Verbraucherschutzorganisation sowie die entsprechenden Einzelhandelskonzerne versendet. Er beschreibt zwar sein Vorgehen unter Nennung der exakten Marke und Geschmacksrichtung, nicht aber der konkret betroffenen Filialen, sodass es letztlich den Behörden möglich war die entsprechenden Gläschen sicher zu stellen. Fraglich ist, ob es für eine Verhinderung i.S.d § 24 I 1 Alt. 2 StGB ausreichend ist, dass die Mail des T Ursache für die Bemühungen der Behörden war (Chanceneröffnungstheorie) oder ob für einen strafbefreienden Rücktritt zu fordern gewesen wäre, dass T konkrete Informationen liefert, um sein Bestmöglichstes zur Verhinderung zu tun (Bestleistungstheorie). Für die Chacneneröffnungstheorie der Rspr. und h.M. sprechen zunächst Opferschutzgesichtspunkte: Denn ein „halbherziger“ Rücktritt ist allemal besser als gar keiner.[23]Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 37 Rn. 132. Außerdem spricht es gegen den Wortlaut Anforderungen aus § 24 I 2 StGB in den Satz 1 hineinzuinterpretieren.[24]Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 37 Rn. 132. Ein Vergleich mit den Rücktrittsvoraussetzungen beim untauglichen Versuch ist auch nach wertenden Gesichtspunkten nicht geboten: Zwar wird für die Bestleistungstheorie angeführt, dass von dem ungefährlichen Täter (Satz 2) ansonsten mehr gefordert werden würde als von dem gefährlichen (Satz 1).[25]Nachweise bei Cornelius, in: BeckOK-StGB, 45. Ed. 2020, § 24 Rn. 54.
Dem lässt sich jedoch entgegnen, dass bei der kausalen Verhinderung das Erfolgsunrecht in einer Art gemindert wird, die bei dem Rücktritt gem. § 24 I 2 StGB gerade ausbleibt. Daher sprechen die gewichtigeren Gründe, insb. der Wortlaut der Norm für die Chanceneröffnungstheorie. Zu der kausalen Verhinderungen des Erfolgseintritts muss auch der Vereitelungswille hinzutreten.[26]BGH NStZ-RR 2010, 276, 277. Dafür hat der Täter seinen Tatvorsatz vollständig aufzugeben und den Taterfolg nicht etwa weiter billigend in Kauf zu nehmen, indem er dem Opfer „nach Art eines Glücksspiels eine Chance gibt“[27]Fischer, 67. Aufl. 2020, § 24 Rn. 30, 35..[28]BGH NJW 2019, 3659, 3661. Von einem solchen Vereitelungswillen ist hier trotz der „Lückenhaftigkeit“ der Angaben auszugehen. Zwar könnte man erwägen, dass der T für den Zeitraum zwischen Verteilung der Gläschen und dem Senden der Mails inkl. der Reaktionszeit der Behörden keine Verhütung der eröffneten Gefahren vornehmen konnte. Dabei handelt es sich aber richtigerweise um ein (bereits erörtertes) Problem der objektiven Anforderungen an die Rücktrittshandlung, nicht um eines des Vereitelungswillens. Gerade aufgrund der Aussage, dass „keiner zu Schaden kommen soll“ kann hier ein Verhinderungswille angenommen werden. Dem steht auch nicht entgegen, dass T eine Wiederholung der Verteilung von Gläschen androhte, da er mit dieser Drohung noch nicht in das Versuchsstadium durch unmittelbares Ansetzen eingetreten ist.[29]BGH NJW 2019, 3659, 3661.
3. Freiwilligkeit
Der Rücktritt müsste auch freiwillig, also aufgrund freier Willensbildung erfolgen. Der Täter darf gerade nicht aufgrund heteronomer äußerer Hindernisse die Tat aufgeben.[30]Rengier, Strafrecht Allgemeiner Teil, 11. Aufl. 2019, § 37 Rn. 91 ff. Hier ist keine äußere Zwangslage für den T ersichtlich, sodass er auch freiwillig zurücktritt.
VI. Ergebnis
T ist nicht gem. §§ 212 I, 211, 22, 23 I, 25 I 2 StGB strafbar.
B. Strafbarkeit gem. §§ 253, 255, 250 II Nr. 1, 251, 22, 23 I StGB
I. Vorprüfung
1. Versuchsstrafbarkeit
Bei der schweren räuberischen Erpressung mit Todesfolge handelt es sich um ein Verbrechen gem. § 12 I StGB, sodass der Versuch gem. § 23 I StGB strafbar ist.
2. Nichtvollendung
Es kam weder zu dem erpressten Handeln der Geldzahlung noch zu dem Eintritt der schweren Folge (Tod der Babys). Daher blieben sowohl das Grunddelikt der (schweren) räuberischen Erpressung als auch die Erfolgsqualifikation des § 251 StGB im Versuchsstadium stecken. Es handelt sich daher um eine versuchte Erfolgsqualifikation.
Vernetztes Lernen: Wie wäre die Konstellation zu beschreiben, wenn der Tod der Babys eingetreten wäre?Erfolgsqualifikation knüpft an Erfolg des Grunddelikts an –> kein erfolgsqualifizierter Versuch möglich
Erfolgsqualifikation knüpft an Handlungsgefahr des Grunddelikts an –> erfolgsqualifizierter Versuch möglich
Besonders umstritten ist das bei § 227 StGB (Letalitätstheorie vs. Kausalitätstheorie).
II. Tatbestand
1. Tatentschluss
T hatte Vorsatz bzgl. der Drohung mit einer gegenwärtigen Gefahr für Leib und Leben von einer unbestimmten Gruppe von Babys, bzgl. einer Vermögensverfügung und eines Vermögensnachteils durch die Zahlung der geforderten Geldsumme, außerdem bzgl. der Verwendung eines gefährlichen Werkzeugs (vergiftete Gläschen) bei der Drohung, sowie zumindest bedingten Vorsatz bzgl. der schweren Folge, dem Tod der Babys. Zudem hatte er Bereicherungsabsicht. Es lag also Tatentschluss bzgl. §§ 253, 255, 250 II Nr. 1, 251 StGB vor.
2. Unmittelbares Ansetzen
T setzte auch unmittelbar zu dieser Tat an, indem er die Drohung vornahm und die Gläschen in den Supermärkten verteilte, sodass eine Lebensgefährdung ohne weitere Zwischenakte des T drohte.
III. Rechtswidrigkeit
T handelt auch rechtswidrig.
IV. Schuld
Er handelt schuldhaft.
V. Rücktritt
1. Kein fehlgeschlagener Versuch
Der Versuch ist nicht fehlgeschlagen, da T nach seiner Vorstellung den Taterfolg, also die Zahlung der geforderten Summe aufgrund der Drohung und den Tod der Babys noch hätte erreichen können.
2. Beendeter oder unbeendeter Versuch
Der Versuch war auch beendet, da der Taterfolg aus Sicht des T ohne weiteres Zutun hätte eintreten können.
3. (P) Verhinderung des Taterfolgs
Durch die Mail verhinderte T kausal den Eintritt der schweren Folge (§ 251 StGB). Von der versuchten räuberischen Erpressung tritt T hingegen nicht zurück, da er in der Mail weiter androht das In-Verkehr-Bringen von präparierten Gläschen im nationalen und internationalen Umfang zu wiederholen. Auch kann er nicht von der Qualifikation des § 250 II Nr. 1 StGB zurücktreten. Dabei handelt es sich nicht wie bei § 251 StGB um eine Erfolgsqualifikation, sondern eine Qualifikation, die die besondere Gefährlichkeit des qualifizierten Nötigungsmittels bestraft. Diese Gefährlichkeit hat sich mit Versenden der Mail aber gerade verwirklicht, indem der Einsatz der Gläschen seiner Drohung Nachdruck verleihen sollte.[31]BGH NJW 2019, 3659, 3661. Daher ist T lediglich von der Erfolgsqualifikation des § 251 StGB zurückgetreten (sog. Teilrücktritt).
4. Freiwilligkeit
Der Rücktritt war auch freiwillig.
VI. Ergebnis
T hat sich gem. §§ 253, 255, 250 II Nr. 1, 22, 23 I StGB strafbar gemacht.
Zusatzfragen
Wann liegt ein unmittelbares Ansetzen bei einem Unterlassungsdelikt vor?Nach einer weiten Auffassung setzt der Täter im erstmöglichen Rettungszeitpunkt zur Tat an.[32]Herzberg MDR 1973, 89, 91. Danach setzt M also mit dem Unterlassen der ersten gebotenen Insulingabe unmittelbar zur Tat an. Nach einer strengeren Auffassung liegt der Versuchszeitpunkt in der letztmöglichen Rettungshandlung.[33]Armin Kaufmann, Die Dogmatik der Unterlassungsdelikte, 1959, S. 210 ff.M würde also mit dem Unterlassen der letzten rettenden Insulingabe ansetzen. Nach der h.M. (wir erinnern uns an den Fall „Vergiftete Babygläschen“) liegt ein unmittelbares Ansetzen dann vor, wenn der Täter bei einer alsbaldigen Gefährdung den Geschehensverlauf aus den Händen gibt oder bei einer entfernt durch den Täter erwarteten Rechtsgutsschädigung sich diese Erwartung zu einer konkreten Rechtsgutsgefährdung verdichtet.[34]Kudlich JA 2008, 601, 603 m.w.N. Danach hätte M jedenfalls unmittelbar angesetzt, wenn sie die gemeinsame Wohnung verließe und die T zurückließe sofern der Todeseintritt dadurch alsbald zu erwarten wäre.
Gegen das Anknüpfen an die erstmögliche Rettungshandlung spricht, dass eine erhebliche Vorverlagerung der Strafbarkeit stattfände und eine Gleichbehandlung mit dem aktiven Begehungsdelikt fehlt: Denn bei der Nutzung der ersten Handlungsmöglichkeit dürfte der Tatentschluss weitaus gefestigter sein als bei dem Verstreichenlassen der ersten gebotenen Handlungsmöglichkeit.[35]Kudlich JA 2008, 601, 603. Gegen den letztmöglichen Zeitpunkt sprechen indessen Opferschutzgesichtspunkte und der Umstand, dass das unmittelbare Ansetzen in den meisten Fällen mit der Vollendung der Tat zusammenfallen dürfte.[36]Kudlich JA 2008, 601, 603. Wie im Falle des mittelbaren Täters und der Distanzfälle vermag auch hier die vermittelnde Ansicht zu überzeugen, die die konkrete Rechtsgutsgefährdung und Beherrschbarkeit durch den Täter berücksichtigt.
Die Differenzierungslösung hingegen will unterscheiden: Ein unbeendeter Unterlassungsversuch liege dann vor, wenn der Täter davon ausgeht, dass die Nachholung der anfänglich gebotenen Rettungshandlung den Erfolgseintritt verhindere. Ein beendeter Versuch hingegen läge dann vor, wenn er eine darüberhinausgehende Handlung vornehmen müsste.[38]Heger, in: Lackner/Kühl, 29. Aufl. 2018, § 13 Rn. 22a m.w.N.Im oben genannten Beispielsfall wäre der Versuch also unbeendet, wenn die nachträgliche Insulingabe ausreicht. Beendet wäre der Versuch hingegen, wenn die M mit der T etwa das Krankenhaus aufsuchen müsste.
Wann aber fördert die Differenzierungslösung abweichende Ergebnisse? Ist nicht jeder Fall der Nachholung der ursprünglich gebotenen Handlung auch das Verhindern des Taterfolges i.S.v. § 24 I 1 Alt. 2 StGB? Dann gäbe es doch auf den ersten Blick keinen eigenen Anwendungsbereich für den § 24 I 1 Alt. 1 StGB, den unbeendeten Versuch. Denkbar ist aber folgende Konstellation: Wenn nämlich die M bemerkt, dass der Zustand der T sich sichtlich verschlechtert, dann Insulin gibt, irrtümlich davon ausgeht sie gerettet zu haben, daher die Wohnung kurz verlässt und dann der Vater V auftaucht und die T aufgrund des kritischen Zustands in das Krankenhaus bringt. Dann erfüllt T zwar die von § 24 I 1 Alt. 1 StGB geforderte Handlung, gibt also die weitere Tatausführung durch die Vornahme der ursprünglich gebotenen Handlung auf. Sie verhindert den Erfolg aber nicht kausal i.S.v. § 24 I 1 Alt. 2 StGB. Auch stellt ihre Handlung kein ernsthaftes Bemühen der Rettung dar, da sie nicht die sicherste von mehreren zur Verfügung stehenden Mitteln zur Rettung wählt. In dieser Irrtumskonstellation zeigt sich, dass die Einheits- und die Differenzierungslösung zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen können.
Daher ist eine Stellungnahme erforderlich: Zunächst lässt der Wortlaut auch im Sinne der Differenzierungslösung zu, dass auch die Ausführung einer Unterlassungstat aufgegeben werden kann. In systematischer Hinsicht spricht auch für diese Lösung, dass § 13 II StGB eine fakultative Strafmilderung für das Unterlassen vorschreibt. Dem Unterlassungstäter die Rücktrittsmöglichkeit gem. § 24 I 1 Alt. 1 StGB im Vergleich zum Begehungstäter zu nehmen, scheint dieser Wertung zu widersprechen. Vielmehr ist erst recht eine parallele Behandlung zum Begehungstäter geboten.[39]Vgl. Nachweise bei Heger, in: Lackner/Kühl, 29. Aufl. 2018, § 13 Rn. 22a.
Zusammenfassung
1. Kleinkinder können keinen Argwohn im klassisch kognitiven Sinne erfahren. Daher ist ein Heimtückemord an ihnen (nach umstr. Ansicht) möglich, wenn ihre natürlichen Schutzreflexe gezielt ausgeschaltet werden oder schutzbereite Dritte getäuscht werden.
2. Das unmittelbare Ansetzen in mittelbarer Täterschaft lässt sich nicht ohne weiteres mit der Zwischenakts-Lehre bestimmen. Daher soll es darauf ankommen, ob der Hintermann den Geschehensablauf aus den Händen gegeben hat und eine konkrete Gefährdung des Rechtsguts alsbald zu erwarten ist.
3. Für ein Verhindern des Erfolgseintritts i.S.d. § 24 I 1 Alt. 2 StGB ist nach h.M. nicht über den Wortlaut hinaus zu fordern, dass der Täter sein Bestmöglichstes für die Erfolgsverhinderung tut. Es reicht, wenn er mit Vereitelungswillen einen kausalen Beitrag zu dieser Verhinderung setzt.
4. Bei dem Versuch der Erfolgsqualifikation ist ein Rücktritt von einer schweren Folge möglich. Bei einer Handlungsqualifikation, wie dem § 250 I, II StGB ist das kaum möglich, da sich die erhöhte Gefährlichkeit schon mit dem qualifizierten Nötigungsmittel verwirklicht. Ob ein Rücktritt vom erfolgsqualifizierten Versuch möglich ist, ist hingegen umstritten.