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Günstige Reparatur, fiktiver Schaden

BGH, Urteil vom 28.01.2025 – VI ZR 300/24, NJW 2025, 1346

Sachverhalt

(leicht abgewandelt)

K ist Halter eines 3er BMW. Diesen parkte er am 04.06.2022 auf einem öffentlichen Parkplatz in Meinerzhagen und blieb zunächst im Auto sitzen, um auf die Durchführung eines PCR-Tests zu warten. In der Parklücke parkte er dabei weit rechts, sodass ein großer Teil der linken Seite der Parklücke frei blieb. In die links daneben befindliche Parklücke wollte der U mit seinem VW Bulli einparken, während sich K noch in seinem Kfz befand.

U vergewisserte sich zuvor nicht, ob sich noch eine Person in dem BMW befand und fuhr mit Schrittgeschwindigkeit dergestalt in die Parklücke ein, dass er unter geringfügiger Mitbenutzung der Parklücke, in der sich das Kfz des K befand, mit der rechen vorderen Ecke seines Bullis bis auf jedenfalls 55 cm an die Fahrertür des K heranfuhr. 

Während der U parkte, ohne dem Kfz des K besondere Aufmerksamkeit zu schenken, öffnete der K seine Fahrzeugtür, ohne sich durch einen Blick in den Rückspiegel hinreichend zu vergewissern, ob sich rückwärtiger Verkehr näherte. Dadurch kam es zur Kollision zwischen der rechten Vorderseite des Bullis des U und der Fahrertür des BMW des K, wobei die Fahrertür des BMW erheblich gestaucht und beschädigt wurde.

B holte in der Folge ein Sachverständigengutachten ein, in dem der Reparaturaufwand auf 4.000 EUR netto taxiert wurde. K ließ den BMW zunächst nicht reparieren und rechnete gegenüber der B, dem Haftpflichtversicherer, bei dem der Bulli des U versichert war, auf Basis des Schadensgutachtens ab. 

Während eines Türkei-Urlaubs ließ K den BMW dann sach- und fachgerecht reparieren. Die B verweigert nun die Regulierung, da sie der Ansicht ist, dass K zunächst die Kosten für die tatsächlich erfolgte Reparatur offenlegen müsste, damit die B auf dieser Basis den Schadensersatz berechnen kann. K möchte hingegen keine Auskunft über die tatsächlichen Reparaturkosten geben und weiterhin auf Basis des Sachverständigengutachtens abrechnen.

Hat K gegen B einen Anspruch auf Zahlung von 4.000 EUR?

Bearbeiterhinweis: Gehen Sie davon aus, dass ein Autofahrer beim Passieren eines parkenden Fahrzeugs grds. mind. 50 cm Abstand einhalten muss, jedoch eine Türöffnung von mind. 60 cm als zum Aussteigen erforderliche Türöffnung angesehen wird. Gehen Sie ferner davon aus, dass die von K geltend gemachten Posten – vorbehaltlich einer Haftungsquote (!) – ihrer Höhe nach angemessen sind.


Anmerkung: Sachverhaltsänderungen
Es wurden kleinere Änderungen des Sachverhalts vorgenommen, um diesen klausurgeeigneter zu gestalten.

Der Unfallhergang ist dem vorinstanzlichen Urteil (LG Hagen, Urt. V. 23.08.2024 – 7 S 2/23) entnommen, da sich der BGH mit dem Unfallhergang selbst nicht mehr auseinandersetzen musste.
Dabei war der konkrete Unfallhergang zwischen den Parteien streitig. Hier wird das Ergebnis der vorinstanzlichen Beweisaufnahme als feststehender Sachverhalt zugrunde gelegt, da eine Beweiswürdigung in Klausuren des ersten Staatsexamens im Regelfall nicht gefordert wird.
Die Forderungshöhe wurde aus Gründen der leichteren Berechnung angepasst; die Forderung des merkantilen Minderwertes, des Sachverständigengutachtens, der vorgerichtlichen Anwaltskosten und des fiktiven Nutzungsausfalls wurden nicht einbezogen.

Skizze


Gutachten

A. Anspruch K gegen B aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, 249 BGB

K könnte gegen die B ein Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, 249 Abs. 2 S. 1 BGB zustehen.

I. Passivlegitimation der B, § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG

Ein Anspruch gegen die B würde jedenfalls deren Passivlegitimation voraussetzen. 

Gem. § 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG kann ein Dritter seinen Anspruch auf Schadensersatz auch gegen den Versicherer geltend machen, wenn es sich bei dem Versicherer um eine Haftpflichtversicherung zur Erfüllung einer Versicherungspflicht i.S.d. § 1 PflVG handelt.

Bei der B handelt es sich um eine Pflichtversicherung des U als Kfz-Halter und somit um eine Pflichtversicherung i.S.d. § 1 PflVG. K kann gegen die B als außenstehender Dritter somit über § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG einen Direktanspruch geltend machen.

II. Anspruch gegen U als Halter aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 249 Abs. 2 S. 1 BGB

Das würde darüber hinaus auch voraussetzen, dass K gegen den U als Fahrzeughalter ein Anspruch aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 249 Abs. 2 S. 1 BGB zusteht, den er als Direktanspruch gegenüber der B geltend machen kann.

Gem. § 7 Abs. 1 StVG ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen, wenn bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeuges ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt wird.

1. Rechtsgutsverletzung

Hier hat U beim Einparken seines Fahrzeuges die geöffnete Fahrertür des Fahrzeugs des K getroffen, sodass diese gestaucht und beschädigt worden ist. Es ist zu einer Eigentumsverletzung des K gekommen, sodass eine Rechtsgutsverletzung i.S.d. § 7 Abs. 1 StVG gegeben ist.

2. Bei Betrieb eines Kfz

Die Rechtsgutsverletzung müsste auch bei Betrieb eines Kfz erfolgt sein. 

Die Bestimmung des Betriebsbegriffs orientiert sich am Schutzzweck der straßenverkehrsrechtlichen Gefährdungshaftung und ist daher weit auszulegen.[1]Walter, in BeckOGK, Stand 01.01.2022, StVG § 7 Rn.89. Der Rechtsbegriff „bei Betrieb eines Kfz“ umfasst daher nicht nur Schadensfälle im unmittelbaren Zusammenhang mit der Fahrzeugbewegung, sondern alle Vorgänge, die in einem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit der Eigenschaft des Fahrzeuges als einer fahrenden bzw. dem Verkehr dienenden Maschine stehen (sog. verkehrstechnische Auffassung).[2]Semrau, in BeckOK StVR, 24. Ed. 15.07.2024, StVG § 7 Rn. 15.

Der Unfall erfolgte während der Einfahrt des Fahrzeugs des U in die links neben dem Fahrzeug des K befindliche Parklücke. Da sich jedenfalls das Fahrzeug des U in Bewegung befand, stand der Unfall im Zusammenhang mit einem typischen Betriebsvorgang dieses Kfz. Das Kfz des U befand sich „bei Betrieb“.

Anmerkung: Maßgebliches Fahrzeug

Beachte, dass es im Rahmen der Prüfung des Tatbestandsmerkmals „bei Betrieb“ zunächst nur auf den Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang des Kfz des Anspruchsgegner ankommt. Ob auch bzgl. des Fahrzeuges des Anspruchsstellers ein Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang besteht, ist ggf. im Rahmen des § 17 StVG zu prüfen.

Anmerkung: Meinungsstreit bzgl. verkehrstechnischer und maschinentechnischer Auffassung

Der im Studium regelmäßig angeführte Streitstand zwischen verkehrstechnischer und maschi-nentechnischer Auffassung ist mittlerweile eigentlich eindeutig zugunsten der verkehrstechni-schen Auffassung entschieden und wurde daher hier nicht aufgeführt. Ein bis zwei Sätze zu dem Streit sind mE zwar nicht erforderlich, würden aber auch keinesfalls schaden. In diesem Fall können kurze Ausführungen dazu aber im Bereich des § 17 StVG angebracht werden (sie-he unten).

3. Kausalität

Der Betriebsvorgang des Einfahrens in die Parklücke war auch kausal für die durch den Unfall verursache Rechtsgutsverletzung in Form der Beschädigung des im Eigentum des K stehenden BMW.

4. U als Halter

U ist als Halter des unfallverursachenden Fahrzeuges auch richtiger Anspruchsgegner i.S.v. § 7 StVG.

5. Kein Haftungsausschluss gem. § 7 Abs. 2 StVG

Die Haftung des U wäre gem. § 7 Abs. 2 StVG ausgeschlossen, wenn ein Fall der höheren Gewalt vorgelegen hätte.

Höhere Gewalt ist ein betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen Dritter herbeigeführtes Ereignis, das nach menschlicher Einsicht und Erfahrung unvorhersehbar ist, mit wirtschaftlich erträglichen Mitteln auch durch äußerste, nach der Sachlage vernünftigerweise zu erwartender Sorgfalt nicht verhütet oder unschädlich gemacht werden kann und auch nicht wegen seiner Häufigkeit in Kauf zu nehmen ist.[3]BGH, Urt. v. 24.03.2015 – III ZR 108/03. Anzeichen für solche Vorkommnisse liegen hier nicht vor. Vielmehr handelt es sich bei dem Einfahren in eine Parklücke um ein alltäglich vorkommendes Ereignis im Straßenverkehr. Die Haftung des U ist nicht gem. § 7 Abs. StVG ausgeschlossen.

6. Kein Haftungsausschluss gem. § 8 StVG

Auch ist die Anwendung des § 7 StVG nicht gem. § 8 StVG ausgeschlossen.

7. Abwägung der Verursachungsbeiträge, § 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StVG

Gem. § 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StVG haften die beteiligten Fahrzeughalter (und damit im Ergebnis auch ihre Versicherungen) für den Fall, dass eine Schadensverursachung durch mehrere Kfz erfolgt, untereinander nur im Verhältnis ihrer jeweiligen Verursachungsbeiträge.

a) Verursachung durch mehrere Kfz i.S.v. § 17 Abs. 1 StVG

Die Anwendbarkeit des § 17 StVG setzt dabei voraus, dass an einem Unfall mehrere Kfz beteiligt sind. Dies setzt in den Fällen des § 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StVG voraus, dass beide Kfz-Halter dem jeweils anderen zumindest dem Grunde nach zum Ersatz verpflichtet sind, die Voraussetzungen des § 7 StVG also wechselseitig vorliegen.

K befand sich zwar in seinem Kfz, dies war jedoch auf dem Parkplatz abgestellt und der Motor lief nicht mehr. Der Unfall geht allerdings auch auf die Öffnung der Fahrertür durch den K mit verursacht. Fraglich ist daher, ob die Öffnung der Tür „bei dem Betrieb“ des Kfz erfolgt ist.

aa) Würde man der früher vom BGH angewendeten sog. „maschinentechnischen Auffassung“ folgen, nach welcher ein Kfz in Betrieb ist, solange seine Motorkräfte auf dieses einwirken, d.h. vom Anlassen des Fahrzeugs bis zu seinem Stellstand einschließlich des Abstellens der Zündung,[4]Walter, in: BeckOGK, Std. 01.01.2022, StVG § 7 Rn. 89; so noch vertreten in BGH, Urt. v. 27.05.1975 – VI ZR 95/74. würde an dem Merkmal „bei Betrieb“ fehlen.

bb) Folgt man hingegen der sog. verkehrstechnische Auffassung, ist ein Schaden i.S.d. § 7 Abs. 1 StVG „bei dem Betrieb“ eines Kfz entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kfz ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, also bei einer insoweit gebotenen wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kfz (mit-)geprägt worden ist. Erforderlich ist dabei, dass es sich bei dem geltend gemachten Schaden um eine Auswirkung derjenigen Gefahren handelt, hinsichtlich derer der Verkehr nach dem Sinn der Haftungsvorschrift schadlos gehalten werden soll.[5]BGH, Urt. v. 24.03.2015 – VI ZR 265/14.

cc) Es ist der verkehrstechnischen Auffassung zu folgen, da nur die Einbeziehung aller betriebstypischen Abläufe eines Kfz dem gesetzgeberischen Leitbild der Gefährdungshaftung für alle mit dem Kfz-Verkehr typischen Gefahren als Preis der für die Zulassung zum Kfz-Verkehr in Einklang zu bringen ist.[6]Vgl. Walter, in: BeckOGK Std. 01.01.2022, StVG § 7 Rn. 89; so noch vertreten in BGH, Urt. v. 27.05.1975 – VI ZR 95/74. 

Da die somit „bei dem Betrieb“ des Kfz des K erfolgte Türöffnung mit ursächlich für den Unfall war und auch die Haftung des K nicht gem. §§ 7 Abs. 3, 8, 8a StVG ausgeschlossen ist, wurde der Unfall durch mehrere Kfz verursacht. Der Anwendungsbereich des § 17 StVG ist eröffnet.

Anmerkung: Anführung des Meinungsstreits

Wie bereits oben angeführt, ist der Meinungsstreit letztlich zugunsten der verkehrstechnischen Auffassung entschieden. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass die Prüfungsämter zu diesem Streit jedenfalls noch ein bis zwei Sätze hören wollen, wenn ein Kfz ausnahmsweise mal tat-sächlich abgestellt ist. Meines Erachtens sollte man es mit der Tiefe der Ausführungen aber keinesfalls übertreiben.

b) Kein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG

Es dürfte außerdem für keinen der Beteiligten (also weder für U noch für K) ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG vorgelegen haben. Gem. § 17 Abs. 3 StVG ist die Verpflichtung zum Ersatz nach § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wird, das weder auf einem Fehler in der Beschaffenheit des Kraftfahrzeugs noch auf einem Versagen seiner Vorrichtungen beruht. Als unabwendbar gilt ein Ereignis nur dann, wenn sowohl Halter und Führer der jeweils beteiligten Kraftfahrzeuge das schadensstiftende Ereignis auch bei Anwendung der äußerst möglichen Sorgfalt nicht hätten abwenden können.[7]Walter, in: BeckOGK, Std. 01.01.2022, StVG § 17 Rn. 15. Dies setzt eine über den gewöhnlichen Fahrerdurchschnitt erheblich hinausgehende Aufmerksamkeit, Geschicklichkeit und Umsicht sowie ein über den Maßstab der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt hinausreichendes geistesgegenwärtiges und sachgemäßes Handeln voraus.[8]Vgl. BGH , Urt. v. 23.09.1986 – VI ZR 136/85..

Von einem solchen sog. „Idealfahrer“ wäre dabei zu erwarten gewesen, dass er an Stelle des U mit hinreichendem Seitenabstand zum nebenan geparkten Auto und mit einer Geschwindigkeit in die Parklücke eingefahren wäre, dass er bei jedem merklichen Zeichen einer Türöffnung in der Lage gewesen wäre, das Kfz mit sofortiger Wirkung zum Stillstand zu bringen.[9]Vgl. dazu auch LG Hagen, Urt. V. 23.08.2024 – 7 S 2/23, Rn. 45. An Stelle des K hätte ein „Idealfahrer“ sorgsam darauf geachtet, die Tür gar nicht erst zu öffnen, während ein anderes Auto im Begriff ist, die benachbarte Parklücke zu befahren.

Somit genügen weder K noch U dem im Rahmen des § 17 Abs. 3 StVG an die Fahrer zu stellenden Sorgfaltsmaßstab. § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG ist anwendbar.

c) Wechselseitige Verursachungsbeiträge, § 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StVG

Gem. § 17 Abs. 1 StVG hängt im Verhältnis der Fahrzeughalter zueinander die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.

Daher ist für die Bildung einer Haftungsquote entscheidend, welche Verursachungsbeiträge von K und U vorliegen, die gem. § 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 StVG miteinander abgewogen werden müssen.

Anmerkung: Zum Begriff der Betriebsgefahr

Der Begriff der Betriebsgefahr wird insbesondere in Bezug auf den Zusammenhang mit einem schuldhaften Verhalten der Fahrzeugführer/-halter nicht einheitlich verwendet. Während teilweise davon ausgegangen wird, dass ein solches schuldhaftes Verhalten die Betriebsgefahr erhöht,[10]So z.B. der BGH in BGH, Urt. v. 11.01.2005 – VI ZR 352/03 wird insbesondere in der Literatur teilweise davon ausgegangen, dass schuldhaftes Verhalten und Betriebsgefahr voneinander abzugrenzen und letztlich in einer gemeinsamen Abwägung zu einer einheitlichen Haftungsquote führen.[11]Vgl. dazu auch Walter, in: BeckOGK, Stand 01.01.2022, StVG § 17 Rn. 33. Letztlich ist die konkrete Herangehensweise aber unerheblich, solange eine saubere Abwägung aller in Betracht kommender Umstände des Einzelfalles, die sich auf das Unfallereignis ausgewirkt haben, erfolgt und am Ende eine Quotenbildung erfolgt.
Dabei kann nur in Ausnahmefällen davon ausgegangen werden, dass bei einem Verstoß gegen besonders wichtige Pflichten der StVO ein kompletter Haftungsausschluss des einen Teils angenommen werden kann und die Betriebsgefahr des Fahrzeuges hinter den Verstoß gänzlich zurücktritt. Am Beispiel des sorgfaltswidrigen Fahrstreifenwechsels wird so ein Fall im Beitrag „Das Werkstattrisiko bei konkreter Schadensabrechnung“ vom 01.10.2024 behandelt.

aa) Allgemeine und besondere Betriebsgefahr

Wechselseitig ist dabei zumindest die jeweilige Betriebsgefahr zu berücksichtigen, die sich aus der Eigenart des jeweiligen Kfz (insbesondere Fahrzeugart, Größe und Gewicht; sog. allgemeine Betriebsgefahr[12]Vgl. Walter, in: BeckOGK, Stand 01.01.2022, StVG § 17 Rn. 32.1. ) und der tatsächlichen Verkehrssituation (Gefahrträchtigkeit des Gefahrmanövers auch mit besonderer Berücksichtigung der Beschaffen- und Geeignetheit des jeweiligen Kfz; sog. besondere Betriebsgefahr[13]Vgl. Walter, in: BeckOGK, Stand 01.01.2022, StVG § 17 Rn. 32.2. ).

In dem konkreten Fall ist allerdings weder die allgemeine Betriebsgefahr eines der beteiligten Kfz gegenüber dem anderen erhöht, noch ergibt sich aus dem Einparken in eine Parklücke oder der Öffnung der Fahrertür eine erhöhte Gefahrträchtigkeit.

bb) Sorgfaltspflichtverstoß des K

Fraglich ist zunächst, ob K sich einen Sorgfaltspflichtverstoß anrechnen lassen muss. Da sich der Unfall ereignet hat, als K die Tür zum Aussteigen öffnete, könnte eine Verstoß gegen § 14 Abs. 1 StVO in Frage kommen. Danach muss sich derjenige, der ein- oder aussteigt, so verhalten, dass eine Gefährdung anderer am Verkehr Teilnehmenden ausgeschlossen ist.

Allerdings ist dabei zu beachten, dass § 14 StVO vornehmlich dem Schutz des fließenden Verkehrs dient und daher bei Parkplatzunfällen regelmäßig keine unmittelbare Anwendung findet.[14]OLG Hamm, Beschl. v. 12.10.1999 – 3 Ss OWi 990/99; vgl. LG Hagen, Urt. v. 23.08.2024 – 7 S 2/23, Rn. 51; BGH; Urt. v. 11.10.2016 – VI ZR 66/16.

Allerdings könnte ein Sorgfaltspflichtverstoß in dem Verstoß gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot aus § 1 Abs. 2 StVO sein.[15] LG Hagen, Urt. v. 23.08.2024 – 7 S 2/23, Rn. 51.

I.V.m. § 14 Abs. 1 StVO ergibt sich aus dem allgemeinen Rücksichtnahmegebot auch die Pflicht, sich auf einem Parkgelände vor dem Öffnen der Türen zu vergewissern, dass kein anderer Verkehrsteilnehmer durch das Öffnen geschädigt wird.[16]Ebd. Gegen diese Pflicht hat K verstoßen, als er die Tür öffnete, ohne sich zuvor zu vergewissern, ob sich rückwärtiger (also einparkender) Verkehr nähert. Es liegt ein Sorgfaltsverstoß vor.

cc) Sorgfaltspflichtverstoß des U

Darüber hinaus ist fraglich, ob sich auch U einen Sorgfaltspflichtverstoß anrechnen lassen muss. Auch hier kommt ein Verstoß gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot aus § 1 Abs. 2 StVO in Betracht, da U den zur Öffnung einer Fahrertür mindestens erforderlichen Abstands unterschritten hat, indem er beim Einparkmanöver auf bis zu 55 cm an das Kfz des K heranfuhr, obwohl er sich nicht zuvor versichert hatte, ob sich in dem Kfz noch eine möglicherweise ausstiegswillige Person befindet. Bezüglich der wechselseitigen Pflichten aus § 1 Abs. 2 StVO ist dabei darauf abzustellen, welche Sicherheitsvorkehrungen den tatsächlichen Umständen nach zu treffen waren, um der gebotenen Vorsicht Genüge zu tun.[17]Vgl. im Ergebnis wohl Figgener, in: Bußmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 28. Auf. 2024, StVO § 1 Rn. 22 f. Auf einer Parkplatzanlage ist daher insbesondere zu beachten, dass diese Art der Verkehrsfläche nicht vom Vorwärtskommen, sondern vom Fußgängerverkehr und dem Ein- und Ausparken geprägt ist,[18]So LG Hagen, Urt. v. 23.08.2024 – 7 S 2/23, Rn. 73. sodass jederzeit mit einer Türöffnung zu rechnen ist, wenn nicht zuvor sicher festgestellt worden ist, dass ein Kfz nicht mit Personen besetzt ist.[19]Ebd. Somit ist das Unterschreiten des zur Öffnung einer Tür erforderlichen Mindestabstands unter Benutzung der Parkfläche, auf der sich bereits ein anderes Kfz befindet, jedenfalls dann als Verstoß gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot aus § 1 Abs. 2 StVO anzusehen, wenn der Fahrer – wie hier – keine besondere Aufmerksamkeit bzgl. möglicherweise ein- oder aussteigende Personen legt. Ein Sorgfaltsverstoß liegt vor.

dd) Abwägung der Beiträge

K hat durch die sorgfaltswidrige Türöffnung die prägende Unfallursache gesetzt. Demgegenüber ist das unaufmerksame Einfahren in die benachbarte Parklücke unter Mitbenutzung einer Parklücke, in der ein anderes Auto steht und unter Unterschreitung des zum Aussteigen erforderlichen Mindestabstands zur Fahrertür dieses Autos nur leicht weniger schwerwiegend. Unter Berücksichtigung dieser Verursachungsbeiträge und der wechselseitig gleichgroßen Betriebsgefahren, ist ein Haftungsbeitrag des K von 60% und ein Haftungsbeitrag des U von 40% angemessen.[20]So das LG Hagen, Urt. v. 23.08.2024 – 7 S 2/23, Rn. 73.

Anmerkung: Quotenbildung

Die Bildung einer Quote von 60:40 ist hier nicht zwingend. Wichtig ist nur, dass die einzelnen Beiträge erkannt und angemessen gewürdigt werden.

d) Zwischenergebnis

Entsprechend ihrer jeweiligen Verursachungsbeiträge haften K zu 60% und U zu 40%. Auf einen eigenen Anspruch hat sich K also seinen eigenen Haftungsbeitrag in Höhe von 60% anrechnen zu lassen.

8. Ersatzfähiger Schaden

Die Ersatzfähigkeit des Schadens richtet sich nach §§ 249 ff. BGB.

a) Schaden i.S.v. §§ 249 ff. BGB

Gem. § 249 Abs. 1 BGB kann eine geschädigte Person im Rahmen der Naturalrestitution die Herstellung des Zustands vor dem schädigenden Ereignis verlangen.

Ist wegen der Verletzung einer Person oder wegen der Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB stattdessen auch den zur Herstellung des in § 249 Abs. 1 BGB bezeichneten Zustande erforderlichen Geldbetrag verlangen. Dieser bemisst sich anhand der Differenzhypothese und ergibt sich aus der Differenz zwischen der tatsächlichen Vermögenslage nach Eintritt des schädigenden Ereignisses und der hypothetischen Vermögenslage ohne dessen Eintritt.[21]Johannes W. Flume, in: BeckOK BGB, 68. Ed. 01.11.2023, BGB § 249 Rn. 37. Ohne das schädigende Ereignis wäre der Schaden an der Tür nicht entstanden, sodass der Anspruch auf Zahlung des zur Herstellung des ursprünglichen Zustandes der Tür erforderlichen Betrags lautet.

b) Fiktive und konkrete Abrechnung
Anmerkung: Schwerpunkt des Falles

Hier liegt der Schwerpunkt des BGH-Urteils, das sich mit der Frage auseinandersetzt, inwiefern eine tatsächlich durchgeführte Reparatur Auswirkungen auf die Höhe des fiktiven Schadensersatz haben kann.

Dem Ansatz der Differenzhypothese folgend handelt es sich bei dem Anspruch aus § 249 Abs. 2 BGB um einen Geldwertanspruch, der nicht auf einen bestimmten Nominalbetrag lautet, sondern von dem zur Wiederherstellung tatsächlich einzusetzenden Betrag abhängig ist.[22]Vgl. Brand, in: BeckOGK, Stand 01.03.2024, BGB § 249 Rn. 123. Dabei kann die höhenmäßige Ausgestaltung dieses Anspruchs entweder durch die Geltendmachung der tatsächlich angefallenen Wiederherstellungskosten (sog. konkrete Berechnung) oder durch die Bestimmung eines erwarteten Wertes der fachgemäßen Wiederherstellung im Rahmen eines Sachverständigengutachtens (sog. fiktive Berechnung) erfolgen.[23]Vgl. dazu auch Brand, in: BeckOGK, Stand 01.03.2024, BGB § 249 Rn. 126. Die Möglichkeit der fiktiven Schadensberechnung basiert auf dem Gedanken, dass die Vermögensschädigung nicht erst durch den Einsatz von Geldmitteln zur Reparatur, sondern bereits durch den Eingriff in das geschädigte Rechtsgut geschmälert ist.[24]Vgl. Ebd. m.w.N. 

c) Fiktive Abrechnung trotz durchgeführter Reparatur

Die fiktive Abrechnung ermöglicht bei Kfz-Schäden die Geltendmachung der zur Wiederherstellung in einer markengebundenen Fachwerkstatt anfallenden Reparaturkosten.[25]Vgl. BGH, Urt. v. vom 28.01.2025 – VI ZR 300/24, Rn. 13. Diese wurde hier von dem Sachverständigen auf 4.000 EUR taxiert.

Allerdings ist in Ansehung des Umstandes, dass K sein Kfz im Rahmen eines Türkei-Urlaubs tatsächlich fachmännisch reparieren lassen hat, fraglich, ob in Anwendung des Wirtschaftlichkeitsgebots sowie des schadensrechtlichen Bereicherungsverbots ein etwaiger fiktiver Schadensersatz durch die tatsächlich aufgewendeten Kosten begrenzt sein muss. Das ist auch entscheidend für die Frage, ob der K durch die Weigerung der Mitteilung der tatsächlich aufgewendeten Kosten jedenfalls eine Mitwirkungsobliegenheit oder sogar eine Auskunftspflicht[26]Vgl. dazu OLG Hamm, Urt. v. 06.05.2016 – 11 U 93/15. verletzt hat, die B dem K entgegenhalten kann.

Grundsätzlich besteht der Anspruch auf den nach der fiktiven Berechnung ermittelten Schaden gerade seinem Wesen nach unabhängig davon, ob die Reparatur wirklich unterlassen wird.[27]Ebd. Auch im Rahmen der fiktiven Abrechnung muss die fiktive Schadensberechnung jedenfalls durch die Kosten einer nachweislich günstigeren Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen freien Fachwerkstatt, die dem Qualitätsstandard einer markengebundenen Werkstatt entspricht, unter Rückgriff auf die Schadensminderungspflicht aus § 254 Abs. 2 BGB gedeckelt werden. Daraus muss folgen, dass eine solche Anrechnung erst Recht dann zu folgen hat, wenn eine kostengünstigere Reparatur tatsächlich in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen freien Fachwerkstatt, die dem Qualitätsstandard einer markengebundenen Werkstatt entspricht, stattgefunden hat, weil der Schädiger in diesem Fall nicht einmal mehr den Beweis dieser Möglichkeit zu führen hat.[28]Vgl. dazu BGH, Urt. v. 03.12.2013 – VI ZR 24/13. Daraus kann aber nicht zugleich auch der Rückschluss gezogen werden, dass jede fachgerechte Reparatur Auswirkungen auf die fiktive Abrechnung haben kann, da der Nachweis eines Verstoßes gegen die Schadensminderungspflicht jedenfalls dann nicht geführt ist, wenn die kostengünstigere Reparatur eben nicht in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen freien Fachwerkstatt erfolgt ist.[29]Vgl. BGH, Urt. v. vom 28.01.2025 – VI ZR 300/24, Rn. 18. Der Nachweis einer kostengünstigeren qualitativ geeigneten Reparaturmöglichkeit in der Türkei hätte gerade nicht dazu geführt, dass der fiktive Schadensersatz herabzusetzen gewesen wäre, da es dem K unzumutbar gewesen wäre, ihn auf eine geographisch derart fernliegende Reparaturmöglichkeit zu verweisen.

Somit konnte der K unabhängig von den von ihm tatsächlich aufgewendeten Reparaturkosten fiktiv abrechnen. Damit fehlt schon die Grundlage für eine Offenlegungspflicht oder -obliegenheit bzgl. der tatsächlich aufgewendeten Kosten.

d) Zwischenergebnis

K kann gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB grds. fiktive Reparaturkosten i.H.v. 4.000 EUR verlangen.

9. Zwischenergebnis

Unter Anrechnung der Haftungsquote des K in Höhe von 60% hat er gegen U einen Anspruch aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG, 249 Abs. 2 S. 1 BGB in Höhe von 1.600 EUR (40% von 4.000 EUR).

III. Ergebnis

K hat gegen die B einen Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, 249 Abs. 2 S. 1 BGB in Höhe von 1.600 EUR.

B. Anspruch K gegen B aus §§ 7, 18 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1VVG, 249 BGB

Der Anspruch ergibt sich nicht auch noch aus §§ 7, 18 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, 249 Abs. 2 S. 1 BGB, weil § 18 StVG in persönlicher Hinsicht nur für den Fahrer greift, der nicht zugleich Halter ist.[30]Walter, in: BeckOGK, Stand 01.01.2022, StVG § 18 Rn. 3.

C. Anspruch K gegen B aus §§ 823 Abs. 1 BGB, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, 249 BGB

Der Anspruch ergibt sich auch aus §§ 823 Abs. 1 BGB, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, 249 Abs. 2 S. 1 BGB. Der U hat die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen, als er mit seinem VW Bulli unaufmerksam und unter Mitbenutzung des von K belegten Parkplatzes in die Parklücke eingefahren ist und somit fahrlässig gehandelt. Im Übrigen liegen die Tatbestandsvoraussetzungen vor (s.o.). Sofern eine Haftung aus § 823 Abs. 1 BGB neben eine Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG tritt, gilt auch für den Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB die unter Anwendung des § 17 StVG ermittelte Haftungsquote, da die in § 17 StVG speziell angeordnete Quotelung sonst durch die Wertungen des allgemeinen Deliktsrechts unterlaufen werden könnte.

D. Anspruch K gegen B aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 1 Abs. 2 StVO i.V.m. §§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, 249 BGB

Ein entsprechender Anspruch ergibt sich auch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 1 Abs. 2 StVO i.V.m. §§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, 249 Abs. 2 S. 1 BGB, da es sich bei § 1 Abs. 2 StVO um ein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 StVO handelt.[31]Vgl. BGH, Urt. v. 26.02.2013 – VI ZR 116/12.

E. Gesamtergebnis

K hat gegen B unter Berücksichtigung seiner Haftungsquote einen Direktanspruch auf Zahlung eines Ersatzes der fiktiven Reparaturkosten in Höhe von 1.600 EUR aus §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG, 249 Abs. 2 S. 1 BGB, aus §§ 823 Abs. 1 BGB, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, 249 Abs. 2 S. 1 BGB sowie aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 1 Abs. 2 StVO i.V.m. §§ 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 VVG, 249 Abs. 2 S. 1 BGB. Zwischen den einzelnen Anspruchsgrundlagen besteht Anspruchskonkurrenz.


Zusatzfragen

Ist es auch nach der Geltendmachung des fiktiven Schadensersatzes möglich, konkret abzurechnen, wenn die Kosten für eine nachträglich durchgeführte Reparatur den fiktiven Schadensersatz übersteigen?

Soweit die Voraussetzungen der konkreten Abrechnung vorliegen (insbesondere tatsächlich durchgeführte Reparatur), steht es dem Geschädigten frei, die den fiktiven Schadensersatz übersteigenden Schaden im Wege der konkreten Abrechnung geltend zu machen.[32]Vgl. dazu auch BGH, Urt. v. 30.05.2006 – VI ZR 174/05. Das ergibt sich daraus, dass das schadensrechtliche Ziel der Restititution i.S.v. §§ 249 ff. BGB gerade darin liegt, einen Zustand herzustellen, der wirtschaftlich gesehen der ohne das Schadensereignis bestehenden (hypothetischen) Lage entspricht.[33]BGH, Urt. v. 17.10.2006 – VI ZR 249/05, Rn. 15. Da sich die wirtschaftliche Bewertung dabei primär an der tatsächlichen Lage zu orientieren hat, kann die Möglichkeit des Schadensausgleichs für die tatsächlich durchgeführten Reparatur dabei auch nicht aufgrund des Wirtschaftlichkeitsgebots auf eine fiktive Abrechnung beschränkt werden. Dies widerspräche dem Grundsatz, dass der Schädiger das Risiko für die im Rahmen der durchgeführten Wiederherstellung anfallenden Mehrkosten trägt, sofern diese nicht auf einem Mitverschulden bzw. Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht des Geschädigten beruhen.[34]Vgl. hierzu auch die Rspr. zum sog. „Werkstattrisiko“, z.B. BGH, Urt. v. 16.01.2024 – VI ZR 38/22.
Eine nach Zahlung eines Schadensersatzes eintretende Schadensvertiefung kann daher weiterhin geltend gemacht werden, bis der Schädiger nach Verjährungseintritt die Verjährungseinrede erhebt. Somit handelt es sich bei der Wahl des fiktiven Schadensersatzes nicht um eine endgültige Festlegung auf diese Abrechnungsart.[35]Vgl. BGH, Urt. v. 08.04.2025 – VI ZR 25/24. Nicht zulässig wäre hingegen eine Kombinierung der unterschiedlichen Abrechnungsmethoden, sodass etwa zusätzlich zum grds. fiktiv abgerechneten Schaden der tatsächliche reparaturbedingte Nutzungsausfallschaden oder die tatsächlich angefallene Mehrwertsteuer geltend gemacht wird.[36]Vgl. dazu BGH, Urt. v. 30.05.2006 – VI ZR 174/05. Diese Posten können auch bei einer nachträglichen konkreten Abrechnung nur dann geltend gemacht werden, wenn der Schaden insgesamt konkret abgerechnet wird.

Erst in diesem Jahr hat der BGH außerdem entschieden, dass derjenige, der einen Schaden fiktiv abrechnet, aus dem Grund der möglichen späteren konkreten Abrechnung auch ein Interesse i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO an der Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige Schäden hat, wobei der Geschädigte dafür nur darlegen muss, dass eine Reparaturmöglichkeit besteht, nicht jedoch, dass er auch eine entsprechende Absicht hat. (Dazu: BGH, Urt. v. 08.04.2025 – VI ZR 25/24.)

Wer ist hinsichtlich welcher Tatsachen im Rahmen der Halterhaftung grds. darlegungs- und beweisbelastet?

Auch im Rahmen der Halterhaftung gilt der Grundsatz, dass derjenige, für den eine Tatsache günstig ist, diese auch zu beweisen hat. Es gilt daher grundsätzlich Folgendes:

Darlegungs- und Beweislast des Anspruchstellers:
Grundtatbestand des § 7 Abs. 1 StVG: Rechtsgutsverletzung; Unfall bei Betrieb; Haltereigenschaft; Schaden; Kausalität von Unfall und Schaden

Darlegungs- und Beweislast des Anspruchsgegners:
Vorliegen höherer Gewalt i.S.v. § 7 Abs. 2 StVG
Vorliegen einer Schwarzfahrt, § 7 Abs. 3 StVG
Erfüllung eines Ausschlusstatbestandes, §§ 8, 8a StVG
Etwaiges Mitverschulden des Geschädigten i.S.v. §§ 9 StVG, 254 BGB

Etwas unübersichtlich kann es werden, wenn ein Fall des § 17 Abs. 2 StVG vorliegt. Dann gilt zusätzlich zu der oben dargestellten Verteilung:

Der Anspruchsgegner trägt die Beweislast für den Verursachungsbeitrag des Anspruchstellers sowie für die die Betriebsgefahr des Anspruchstellers erhöhenden Umstände und etwaige Sorgfaltspflichtverstöße des Anspruchstellers. Überdies obliegt ihm die Darlegungs- und Beweislast, dass der Unfall für ihn selbst unvermeidbar i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG war.

Der Anspruchsteller trägt die Beweislast hinsichtlich aller seiner Haftung ausschließenden Umstände (insbesondere höhere Gewalt i.S.v. § 7 Abs. 2 StVG und das Vorliegen eines für ihn unabwendbaren Ereignisses i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG. Darüber hinaus trägt er die Darlegungs- und Beweislast für alle die Betriebsgefahr des Anspruchsgegners erhöhenden Umstände und dessen Sorgfaltspflichtverstöße.

Insbesondere bei Verstößen gegen Sorgfaltspflichten ist allerdings zu beachten, dass sich im Rahmen der Halterhaftung eine breite Kasuistik zu Anscheinsbeweisen entwickelt hat. In diesen Fällen kann dann wegen eines typischen Geschehensablaufs von einem bewiesenen Ergebnis auf eine nicht bewiesen Ursache geschlossen werden oder anders herum (z.B. wird vermutet, dass derjenige, der einem anderen Fahrzeug hinten auf gefahren ist, den Auffahrunfall verursacht hat).

Zusammenfassung

  1. Dem Geschädigten steht es frei, einen Schaden an seinem Kraftfahrzeug gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB auf Grundlage der fiktiven Schadensberechnung zu berechnen. Bezogen auf die Reparatur sind ihm dabei die Kosten zu ersetzen, die bei der Wiederherstellung des nach § 249 Abs. 1 BGB geschuldeten Zustandes in einer markengebundenen Fachwerkstatt angefallen wären.
  2. Etwas anderes gilt dann, wenn der Schädiger darlegen und gegebenenfalls beweisen kann, dass es dem Geschädigten zumutbar wäre, den Schaden – für den Fall, dass eine Reparatur tatsächlich durchgeführt werden würde – zu günstigeren Konditionen und gleicher Qualität bei einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen freien Fachwerkstatt durchzuführen. Dann ist der fiktive Schadensersatz auf die entsprechenden Kosten zu deckeln (entsprechend § 254 Abs. 2 BGB).
  3. Hat der Geschädigte bei einer solchen mühelos und ohne Weiteres zugänglichen freien Fachwerkstatt eine Reparatur zu günstigeren Konditionen durchführen lassen, als ihm nach der fiktiven Schadensberechnung grds. zustehen würden, liegt ein solcher Fall vor.
  4. Die tatsächlich zu einem niedrigeren Preis durchgeführte fachgerechte Reparatur in einer Werkstatt, die nicht mühelos oder ohne Weiteres zugänglich ist, hat dagegen keine Auswirkungen auf den fiktiven Schadensersatz, da die Voraussetzungen der Deckelung gerade nicht vorliegen.
  5. Daher steht dem Geschädigten (bzw. seinem Haftpflichtversicherer) auch kein Auskunftsanspruch hinsichtlich der im Rahmen einer solchen Reparatur angefallenen Kosten zu. Die Zahlung des fiktiven Schadensersatzes kann nicht verweigert werden, weil eine entsprechende Auskunft nicht erteilt wird.

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