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„Intersex Inclusive Progress Pride Flag“ im Schulhort

VG Berlin, Urteil v. 25.06.2025 – VG 3 K 668/24

Sachverhalt

(gekürzt und abgewandelt)

Das Kind der Eltern E besucht in Berlin die 2. Jahrgangsstufe einer Grundschule sowie den zur Schule gehörigen, der ergänzenden Förderung und Kindertagesbetreuung dienenden, Hort. Eine Erzieherin des Horts, die zugleich als schulische Beauftragte für sexuelle Vielfalt fungiert, hängte zur verstärkten Sichtbarkeit marginalisierter Gruppen und zur Sensibilisierung der Kinder für Diversität im Herbst 2024 im Aufenthaltsraum des Horts eine selbstgemalte sogenannte intersex-inclusive Progress-Regenbogenflagge im DIN-A3-Format an einer Stehtafel auf. Die Flagge zeigt auf der rechten Seite einen horizontalen Regenbogen-Farbverlauf, dessen Farben auf verschiedene Gruppen sexueller und geschlechtlicher Identität aufmerksam machen sollen. Auf der linken Seite sind sechs Balken zu erkennen, die einen Pfeil mit einem Farbverlauf von rechts nach links (Gelb, Weiß, Rosa, Blau, Braun und Schwarz) bilden und weitere marginalisierte Personenkreise repräsentieren, etwa People of Color sowie Transgender-Personen. Auf einem gelben Untergrund links ist dazu ein Kreis in der Farbe Lila eingezeichnet, der auf Personen der „Intersex-Community“ verweist.

Als die E erfahren, dass eine solche Flagge im Hort ihres Kindes aufgehängt wurde, sind sie empört. Die Flagge verstoße eindeutig gegen ihr grundrechtlich geschütztes Erziehungsrecht, da sie eine stark tendenziöse politische Konnotation habe. Insbesondere gehe die Flagge von einer Mehrheit von Geschlechtern aus, was nach ihrer Auffassung jedoch nur eine Mindermeinung in der Gesellschaft sei. Die Flagge sei nicht neutral. Sie (die E) würden somit dabei beeinträchtigt, ihrem Kind die für sich selbst als richtig empfundenen gesellschaftspolitischen Überzeugungen zu vermitteln.

Die E beanstanden die intersex-inclusive Progress-Regenbogenflagge daher bei der Schulleitung, die ihr Begehren auf Entfernung der Flagge jedoch mit der Begründung ablehnt, sie sei vom verfassungsrechtlich garantierten staatlichen Erziehungsauftrag gedeckt; die Flagge verstoße auch nicht gegen das staatliche Neutralitätsgebot, sondern spiegle vielmehr lediglich verfassungsimmanente Werte wider.

Nunmehr erheben die E beim zuständigen Verwaltungsgericht Klage gegen das Land Berlin als Rechtsträger des Schulhorts. Zur Sicherung ihres grundrechtlich geschützten Erziehungsrechts begehren sie, dass der Schulhort die intersex-inclusive Progress-Regenbogenflagge entfernt.

Hat die Klage der E Aussicht auf Erfolg?

Schulgesetz für das Land Berlin

§ 3 – Bildungs- und Erziehungsziele

(1) Die Schule soll Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten und Werthaltungen vermitteln, die die Schülerinnen und Schüler in die Lage versetzen, ihre Entscheidungen selbständig zu treffen und selbständig weiterzulernen, um berufliche und persönliche Entwicklungsaufgaben zu bewältigen, das eigene Leben aktiv zu gestalten, verantwortlich am sozialen, gesellschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Leben teilzunehmen und die Zukunft der Gesellschaft mitzuformen.

(3) Schulische Bildung und Erziehung sollen die Schülerinnen und Schüler insbesondere befähigen,

1. die Beziehungen zu anderen Menschen in Respekt, Gleichberechtigung und gewaltfreier Verständigung zu gestalten sowie allen Menschen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, […]


Skizze


Gutachten

Die Klage der E hat Erfolg, wenn sie zulässig und soweit sie begründet ist.

A. Zulässigkeit der Klage

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Mangels aufdrängender Sonderzuweisung ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 I 1 VwGO eröffnet, wenn es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art handelt und keine abdrängende Sonderzuweisung vorliegt. Nach der modifizierten Subjektstheorie ist eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich, wenn die streitentscheidende Norm eine solche des öffentlichen Rechts ist, also einen Hoheitsträger einseitig berechtigt oder verpflichtet.

Streitentscheidend ist hier, ob der Schulhort verpflichtet ist, die „intersex-inclusive Progress-Regenbogenflagge“[1]Bezeichnung der Flagge hier und im Folgenden nach VG Berlin, BeckRS 2025, 14062. abzuhängen. Im Mittelpunkt steht also ein Beseitigungsanspruch. Auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts existiert hierfür der – einhellig anerkannte und überwiegend aus dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten abgeleitete[2]Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 23. Auflage 2025, Rn. 1204. – Folgenbeseitigungsanspruch (FBA). Er ist einschlägig, sofern das Aufhängen der Flagge durch die Erzieherin des Schulhorts als öffentlich-rechtlicher Realakt zu klassifizieren ist. Da die Verwaltung bei Realakten jedoch grundsätzlich eine Wahlmöglichkeit hat, ob sie öffentlich-rechtlich oder privatrechtlich handeln will, besteht ein Abgrenzungsproblem.[3]Mehde, Der Folgenbeseitigungsanspruch, JA 2017, 783 (785). Es wäre ebenso denkbar, dass das Aufhängen der Flagge privatrechtlicher Natur ist; in Falle einer solchen privatrechtlichen Streitigkeit wäre sodann der privatrechtliche Beseitigungsanspruch gem. § 1004 BGB einschlägig, der Verwaltungsrechtsweg wäre nicht eröffnet.

Ob für die Streitigkeit der öffentlich-rechtliche oder privat-rechtliche Beseitigungsanspruch einschlägig ist, richtet sich nach den allgemeinen Regeln zur Abgrenzung von öffentlichem Recht und Privatrecht – etwa die Rechtsform, in der die Verwaltung handelt oder der Zusammenhang, innerhalb dessen die Behörde tätig wird.[4]Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 21. Auflage 2024, § 30 Rn. 8.; Mehde, Der Folgenbeseitigungsanspruch, JA 2017, 783 (785). Das Aufhängen der Flagge erfolgte durch eine Erzieherin der Schule, die zugleich als schulische Beauftragte für sexuelle Vielfalt fungiert, im Schulhort. Die Flagge steht somit im direkten Zusammenhang mit der schulischen Bildung, einer im Kern öffentlich-rechtlichen Angelegenheit. Mithin ist der FBA einschlägig; da der FBA einseitig Hoheitsträger verpflichtet ist die Streitigkeit öffentlich-rechtlich.

Die Streitigkeit ist auch nicht-verfassungsrechtlicher Art und eine abdrängende Sonderzuweisung ist nicht ersichtlich.

II. Statthafte Klageart

Die statthafte Klageart richtet sich gem. § 88 VwGO nach dem Klagebegehren. Vorliegend begehren die E eine Entfernung der Flagge, mithin ein rein tatsächliches Verwaltungshandeln (Realakt). Zur Erreichung eines behördlichen Handelns ohne Verwaltungsaktsqualität kommt die allgemeine Leistungsklage in Betracht. Sie ist statthaft, wenn Kläger*innen die Vornahme oder Unterlassung einer Verwaltungshandlung begehren, die nicht in der Beseitigung oder im Erlass eines VA besteht. Die allgemeine Leistungsklage wird in der VwGO zwar nicht ausdrücklich geregelt, von ihr jedoch vorausgesetzt (vgl. §§ 43 II 1, 111, 113 IV VwGO).[5]Vgl. exemplarisch Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 23. Auflage 2025, Rn. 1231; BVerfG, BeckRS 2010, 56687, Rn. 14. Die allgemeine Leistungsklage stellt somit die statthafte Klageart dar.

III. Klagebefugnis

Zur Vermeidung von Popularklagen ist bei Leistungsklagen § 42 II VwGO analog anzuwenden.[6]Schoch/Schneider/Wahl/Schütz, Verwaltungsrecht – VwGO, 47. EL Februar 2025, § 42 Abs. 2 Rn. 33 m.w.N. Es muss also die Möglichkeit bestehen, dass die Kläger*innen durch die Verweigerung der begehrten Handlung in ihren Rechten verletzt sind. Damit die E durch das Nicht-Abhängen der Flagge überhaupt in ihren Rechten verletzt sein können, müsste zunächst grundsätzlich denkbar erscheinen, dass ein entsprechender Beseitigungsanspruch existiert. Es ist nicht gänzlich ausgeschlossen, dass zur Widerherstellung des tatsächlichen, vor einem hoheitlichen Eingriff bestehenden Zustandes („status quo ante“) ein öffentlich-rechtlicher FBA besteht und dieser FBA auch ein subjektives Recht verleiht.[7]Hierzu Mehde, Der Folgenbeseitigungsanspruch, JA 2017, 783 (783); Sodan/Ziekow, Grundkurs Öffentliches Recht, 10. Auflage 2023, Rn. 2. Ebenfalls ist nicht von vorneherein ausgeschlossen, dass die Anspruchsvoraussetzungen des FBA erfüllt sind; entgegenstehende Gründe sind nicht ersichtlich. Die E sind mithin klagebefugt.

Vernetztes Lernen: Was sind die Unterschiede zwischen dem allgemeinen Folgenbeseitigungsanspruch und dem Vollzugs-Folgenbeseitigungsanspruch? Wogegen und mittels welcher Klageart wird letzterer prozessual durchgesetzt?
Im öffentlichen Recht wird zwischen dem allgemeinen FBA sowie dem Vollzugs-FBA unterschieden.[8]Zum Ganzen im Folgenden s. Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 23. Auflage 2025, Rn. 1202, 1227; Schoch/Schneider/Riese, Verwaltungsrecht – VwGO, 47. EL Februar 2025, § 113 Rn. 81 f. Der allgemeine Folgenbeseitigungsanspruch greift immer dann ein, wenn die Folgen von einem hoheitlichen Handeln ohne Verwaltungsaktsqualität zu beseitigen sind, z.B. einer amtlichen Äußerung. Demgegenüber betrifft der Vollzugs-FBA die Folgen des Vollzugs eines Verwaltungsakts. Hierbei ist zwischen zwei Konstellationen zu unterscheiden:

• Der belastende Verwaltungsakt existiert noch: Besteht der Verwaltungsakt noch, ist zu seiner Beseitigung zunächst Anfechtungsklage gemäß § 42 I VwGO zu erheben. Gleichzeitig kann nach § 113 I 2 VwGO der Antrag auf Beseitigung der Vollzugsfolgen gestellt werden, wobei es sich nach h.M. um eine selbstständige Klage – je nach Klageziel: allgemeine Leistungsklage oder Verpflichtungsklage – handelt. § 113 I 2 VwGO wird daher als besonderer Fall der (privilegierten) objektiven Klagehäufung verstanden.

• Der belastende Verwaltungsakt existiert nicht mehr: Ist der Verwaltungsakt bereits aufgehoben oder hat sich auf andere Weise erledigt (z.B. auf Grund eines Fristablaufs), ist § 113 I 2 VwGO nicht anwendbar. In dieser Konstellation wird der Vollzugs-FBA durch eine allgemeine Leistungsklage geltend gemacht. Sofern dies gleichzeitig mit der Fortsetzungsfeststellungsklage (bezüglich des nicht mehr existierenden Verwaltungsakts) erfolgt, handelt es sich um einen Fall der objektiven Klagehäufung nach § 44 VwGO.

IV. Klagegegner

Der Klagegegner bestimmt sich im Rahmen der allgemeinen Leistungsklage nach dem Rechtsträgerprinzip.[9]Hierzu Schoch/Schneider/Meissner/Schenk, Verwaltungsrecht – VwGO, 47. EL Februar 2025, § 78 Rn. 52 m.w.N. Bei dem Schulhort ist das Land Berlin Rechtsträger, die Klage richtet sich folglich gegen den richtigen Klagegegner.

V. Beteiligungs- und Prozessfähigkeit

Die E sind jeweils nach § 61 Nr. 1 Alt. 1 VwGO beteiligtenfähig und nach § 62 I Nr. 1 VwGO prozessfähig. Das Land Berlin ist nach § 61 Nr. 1 Alt. 2 VwGO beteiligtenfähig und nach § 62 III VwGO prozessfähig.

VII. Rechtsschutzbedürfnis

Den E dürfte auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis fehlen. Dieses entspricht bei Leistungsklagen den allgemeinen Grundsätzen, sodass insbesondere die begehrte Handlung zunächst bei der zuständigen Behörde zu beantragen ist.[10]Schoch/Schneider/Pietzcker/Marsch, Verwaltungsrecht – VwGO, 47. EL Februar 2025, § 42 Abs.1, Rn. 170a. Die E haben sich vor Klageerhebung erfolglos an die Schule gewandt. Sie weisen daher das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis auf.

Vernetztes Lernen: Was ist eine vorbeugende Unterlassungsklage und welche Voraussetzungen sind an ihr Rechtsschutzbedürfnis zu stellen?
Die Unterlassungsklage stellt eine Unterform der allgemeinen Leistungsklage dar („negative Leistungsklage“) und ist klassischerweise auf die Unterlassung oder Beendigung einer Störung gerichtet.[11]Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 13. Aufl. 2024, § 16 Rn. 1, 4. Mit ihr kann jedoch auch das Ziel verfolgt werden, „vorbeugend“ eine erst noch bevorstehende hoheitliche Maßnahme abzuwehren („vorbeugende Unterlassungsklage“).

Ein solches Rechtsschutzziel kann insbesondere dann bestehen, wenn ein Verwaltungsakt droht, der noch nicht bekanntgegeben worden ist. Da ein Verwaltungsakt erst mit seiner Bekanntgabe (§ 41 VwVfG) wirksam (§ 43 VwVfG) wird, ist eine gegen den Verwaltungsakt gerichtete Anfechtungsklage erst ab Bekanntgabe statthaft. Dieses System des repressiven Rechtsschutzes kann jedoch in einzelnen Fällen dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 IV GG) widersprechen. Und zwar dann, wenn die „faktische Vorwirkung des VA schon so erheblich ist, dass ein Abwarten der eigentlichen Entscheidung für den Kläger unzumutbar ist“. Beispielhaft sind „sanktionsbewehrte, wegen Zeitablaufs kurzfristig erledigte oder mit besonders negativen Folgen behaftete Verwaltungsakte, bei denen eine nachträgliche Anfechtungsklage nicht ausreichen würde, um schwerwiegende Folgen für den Kläger auszuschließen.“[12]Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 13. Aufl. 2024, § 16 Rn. 10.

Um dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes gerecht zu werden, kann in solchen Fällen gegen den drohenden Verwaltungsakt die vorbeugende Unterlassungsklage in Stellung gebracht werden. Das zentrale Kriterium der „Unzumutbarkeit des Abwartens“ stellt insoweit ein qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis dar und ist in einer Klausur dezidiert zu prüfen.[13]Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 13. Aufl. 2024, § 16 Rn. 9.

VII. Zwischenergebnis

Die allgemeine Leistungsklage der E ist zulässig.

B. Begründetheit der Klage

Die allgemeine Leistungsklage der E ist begründet, soweit sie gegenüber der Schule einen Anspruch auf Abhängen der intersex-inclusive Progress-Regenbogenflagge haben. Hierfür ist erforderlich, dass eine Anspruchsgrundlage für das Entfernen der Flagge existiert und dessen Anspruchsvoraussetzungen erfüllt sind.

I. Anspruchsgrundlage des Folgenbeseitigungsanspruchs

Als Anspruchsgrundlage für das Abhängen der Flagge im Schulhort kommt der Folgenbeseitigungsanspruch (FBA) in Betracht. Fraglich ist allerdings, welchen rechtlichen Anknüpfungspunkt der FBA findet. Da der – im ersten Moment als Anspruchsgrundlage denkbar erscheinende – § 113 I 2 VwGO eine bloße Regelung zur prozessualen Durchsetzung, aber keine Rechtsgrundlage des FBA darstellt, muss der FBA anderweitig begründet werden.[14]Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 23. Auflage 2025, Rn. 1204.

Die Rechtsgrundlage bzw. die Herleitung des FBA ist jedoch umstritten. Als Begründungsansätze werden insbesondere eine Analogie zu §§ 1004, 862 BGB, das Gebot der Gerechtigkeit, das Rechtsstaatsprinzip, der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der Grundsatz des Gesetzesvorbehalts, die Freiheitsrechte und die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 IV GG in Stellung gebracht.[15]Mit ausführlichen Nachweisen Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 21. Auflage 2024, § 30 Rn. 4 f. All diese Begründungsansätze widersprechen sich jedoch nicht, sondern ergänzen sich vielmehr und verdichten sich zu der Erkenntnis, dass der FBA jedenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten abgeleitet werden kann und mittlerweile gewohnheitsrechtlich anerkannt ist.[16]Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 23. Auflage 2025, Rn. 1204; Mehde, Der Folgenbeseitigungsanspruch, JA 2017, 783 (783); vertiefend Schoch/Schneider/Riese, Verwaltungsrecht – VwGO, 47. EL … Continue reading 

Anmerkung: Klausurtaktische Darstellung
„In einer Klausur darf der Meinungsstreit nicht (mehr) ausgebreitet werden. Hier genügt der Hinweis, dass der FBA als solcher einhellig anerkannt ist und überwiegend aus dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten abgeleitet wird.“[17]Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 23. Auflage 2025, Rn. 1204.

II. Tatbestandliche Voraussetzungen des Folgenbeseitigungsanspruchs

Weiterhin müssten die Voraussetzungen des FBA erfüllt sein. Der öffentlich-rechtliche FBA setzt voraus, dass durch ein hoheitliches Handeln in ein subjektives Recht der*des Kläger*in eingegriffen und hierdurch ein rechtswidriger Zustand geschaffen wurde, der noch andauert. Ferner dürfen keine Ausschlussgründe rechtlicher oder tatsächlicher Art bestehen.[18]Aus BVerfG, BeckRS 2010, 56687, Rn. 14

Anmerkung: Unerheblichkeit der Rechtswidrigkeit des Handelns
Für die Erfolgsaussichten des FBA ist die Rechtswidrigkeit des öffentlich-rechtlichen Handelns unerheblich, zentral ist die Rechtswidrigkeit des resultierenden Zustands. Der FBA kann nämlich auch dann bestehen, wenn ein (zunächst) rechtmäßiges Handeln zu einem rechtswidrigen Zustand geführt hat. Ein in diesem Zuge oft genanntes Beispiel ist die – von der zuständigen Behörde zunächst rechtmäßig – in eine Wohnung eingewiesene wohnungslose Person, die sich jedoch nach Ablauf der rechtmäßigen befristeten Einweisung rechtswidrig weiterhin in der Wohnung aufhält. Da es für den FBA nur auf die Rechtswidrigkeit des Zustands (= der weitere Aufenthalt in der Wohnung) und nicht des behördlichen Handelns (= der rechtmäßigen Einweisung) ankommt, kann sich die*der Eigentümer*in der Wohnung erfolgversprechend auf den FBA stützen.[19]Hierzu Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 23. Auflage 2025, Rn. 1209.

1. Hoheitliches Handeln

Zunächst müsste also überhaupt ein hoheitliches Handeln vorliegen, d.h. ein verwaltungsrechtliches Tun.[20]Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 21. Auflage 2024, § 30 Rn. 9. Wie ausgeführt wurde die Flagge durch eine Erzieherin im Schulhort aufgehängt, wo sie für alle Kinder sichtbar ist. Das Aufhängen der Flagge steht im direkten Zusammenhang mit der schulischen Bildung, es stellt ein hoheitliches Handeln dar.

2. Eingriff in ein subjektives Recht

Das hoheitliche Handeln müsste einen Eingriff in ein geschütztes subjektives Recht darstellen. Als subjektives Recht im Sinne des FBA kommen ua stets die Grundrechte in Betracht.[21]Maurer/Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 21. Auflage 2024, § 30 Rn. 10. Vorliegend könnte der Schulhort in das Erziehungsrecht der Eltern E aus Art. 6 II 1 GG eingegriffen haben, indem das Kind der E mit der intersex-inclusive Progress-Regenbogenflagge „konfrontiert“ wird und es den E so erschwert wird, ihrem Kind die für sich selbst als richtig empfundenen gesellschaftspolitischen Überzeugungen zu vermitteln.

a) Schutzbereich des Art. 6 II 1 GG

Hierfür müsste zunächst der Schutzbereich des Erziehungsrechts der E aus Art. 6 II 1 GG eröffnet sein. Als leibliche Eltern sind die E vom persönlichen Schutzbereich des Art. 6 II 1 GG umfasst. In sachlicher Hinsicht garantiert Art. 6 II 1 GG die Pflege und Erziehung als natürliches Recht.[22]BVerfG, BeckRS 2015, 42522, Rn. 106. Während unter Pflege die Sorge für das körperliche Wohl und das Vermögen zu verstehen ist, umfasst Erziehung hingegen auch die Sorge für die geistige und seelische Entwicklung des Kindes.[23]Dürig/Herzog/Scholz/Badura, GG, 107. EL März 2025, Art. 6 GG Rn. 118. Das Erziehungsrecht ist hierbei allumfassend und gewährt den Eltern das Recht, „den Umgang des Kindes mit gesellschaftlichen Fragen nach ihren Vorstellungen erzieherisch zu steuern und dabei auch einer politischen Ausrichtung bestimmenden Einfluss zu geben. Es steht primär ihnen zu, ihren Kindern diejenigen Überzeugungen in Weltanschauungsfragen zu vermitteln, die sie für richtig halten.“[24]VG Berlin, BeckRS 2025, 14062, Rn. 21; BVerfG, BeckRS 2015, 42522, Rn. 106.

Der intersex-inclusive Progress-Regenbogenflagge wohnt jedenfalls eine gewisse gesellschaftspolitische Wertung inne. Als Teil des elterlichen Rechts auf Vermittlung der für sich selbst als richtig empfundenen gesellschaftspolitischen Überzeugungen, obliegt es letztlich den Eltern, in welcher Art und Weise sowie zeitlichen und sachlichen Intensität sich das eigene Kind mit der Flagge und ihren Werten auseinandersetzt. Der Schutzbereich des Erziehungsrechts der E aus Art. 6 II 1 GG ist mithin eröffnet.

Anmerkung: Weltanschauungsfreiheit
Es ließe sich auch darüber diskutieren, ob das Recht der Eltern, ihrem Kind die von ihnen für richtig gehaltene weltanschauliche Erziehung zu vermitteln, in Frage steht. In einem solchem Fall träte die Weltanschauungsfreiheit aus Art. 4 I GG verstärkend neben das Erziehungsrecht.[25]Dürig/Herzog/Scholz/Badura, GG, 107. EL März 2025, Art. 6 GG Rn. 118. Eine Weltanschauung im Sinne des Art. 4 I GG betrifft allerdings die grundlegende Erklärung der Welt, ihres Sinns und die Stellung des Menschen. Sie strebt nach einem immanenten Weltbild, eine Erklärung letzter Ursachen ohne außerweltliche Bezugnahmen. Das Merkmal der Immanenz fungiert insoweit auch als Gegenpol zur Transzendenz der Religionsfreiheit.[26]Dürig/Herzog/Scholz/Di Fabio, GG, 107. EL März 2025, Art. 4 GG Rn. 43 ff. Zwar mag die Positionierung gegen die Werte, die mit der intersex-inclusive Progress-Regenbogenflagge verbunden werden, im Einzelfall durchaus in einer Weltanschauung in diesem Sinne fußen. Mangels entsprechender Angaben zu den weltanschaulichen Positionen der E im Sachverhalt gelingt der erforderliche Begründungsaufwand im vorliegenden Fall jedoch nicht.
b) Eingriff

In das Erziehungsrecht der Eltern müsste jedoch auch eingegriffen worden sein. Nach dem modernen – anders als beim klassischen Eingriff nicht auf Rechtsakte beschränkten – Eingriffsbegriff liegt ein Eingriff in jedem staatlichen Handeln begründet, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich des Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht. Die staatliche Maßnahme müsste das Elternrecht im Verhältnis zum Kind daher jedenfalls teilweise unmöglich gemacht haben. Das Kind der E ist im Rahmen seines Besuchs des Schulhorts regelmäßig mit der intersex-inclusive Progress-Regenbogenflagge konfrontiert, ohne, dass die E Einfluss darauf haben, in welcher Art und Weise sowie zeitlichen und sachlichen Intensität dies geschieht. Die Eltern können den Umgang ihres Kindes mit den hiermit verbundenen gesellschaftlichen Fragen somit nicht frei nach ihren eigenen Vorstellungen erzieherisch steuern. Da ihr Elternrecht insoweit beschränkt ist, liegt ein Eingriff in ein subjektives Recht der E vor.

3. Unmittelbare Schaffung eines rechtswidrigen Zustands

Dieser Eingriff in das Elternrecht der E müsste in der Folge unmittelbar zur Schaffung eines rechtswidrigen Zustands geführt haben. Entscheidend für den FBA ist nämlich gerade nicht die Rechtswidrigkeit des öffentlich-rechtlichen Handelns, sondern vielmehr ‚nur‘ die Rechtswidrigkeit des hierdurch herbeigeführten Zustands. Sofern jedoch bereits das Handeln selbst rechtswidrig ist, kann hieraus in der Regel auch auf die Rechtswidrigkeit der Folgen geschlossen werden.[27]Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 23. Auflage 2025, Rn. 1209 m.w.N., insb. der Rspr. Vor diesem Hintergrund kann die Rechtswidrigkeit der derzeitig im Schulhort hängenden Flagge (= der Zustand) anzunehmen sein, wenn bereits das Aufhängen der Flagge (= das Handeln) rechtswidrig gewesen ist.

Das Aufhängen der intersex-inclusive Progress-Regenbogenflagge ist insbesondere dann rechtswidrig, wenn der – soeben festgestellte – Eingriff in das Erziehungsrecht der E aus Art. 6 II 1 GG nicht gerechtfertigt wäre. Fraglich ist also, ob der Eingriff verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann.

a) Schranken des Art. 6 II 1 GG

Für eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung des Eingriffs in Art. 6 II 1 GG müsste das elterliche Erziehungsrecht zunächst überhaupt einem Schrankenvorbehalt unterliegen.

aa) Staatliches Wächteramt, Art. 6 II 2 GG

Eine denkbare Schranke könnte hierbei das sog. staatliche Wächteramt aus Art. 6 II 2 GG darstellen. Seine dogmatische Einordnung ist allerdings strittig – es wird teilweise als qualifizierter Gesetzesvorbehalt bewertet, teilweise als kollidierendes Verfassungsrecht. Eine Entscheidung dieser Frage kann jedoch dahinstehen, da das staatliche Wächteramt ohnehin nur in solchen Fällen eine staatliche Intervention (z.B. Kontroll- und Überwachungshandlungen) ermöglicht, in denen die Eltern ihre Erziehungsaufgabe überschreiten und das Kindeswohl schwerwiegend beeinträchtigen.[28]Epping/Hillgruber/Uhle, BeckOK GG, 62. Ed. 15.6.2025, Art. 6 GG Rn. 60; BVerfG, BeckRS 1982, 108514. Ein solcher Fall der schweren Kindeswohlgefährdung durch ein elterliches Überschreiten ist im vorliegenden Fall nicht ersichtlich, sodass die Schranke des Art. 6 II 2 GG für das Aufhängen der Flagge nicht fruchtbar gemacht werden kann.

bb) Aufsicht des Staates über das Schulwesen, Art. 7 I GG

Da kein anderweitiger Gesetzesvorbehalt ersichtlich ist, kommt allenfalls noch kollidierendes Verfassungsrecht in Betracht. In Frage kommt hierbei insbesondere Art. 7 I GG, welcher den staatlichen Erziehungsauftrag in der Schule adressiert und eine staatliche Befugnis zur Planung, Organisation, Leitung und inhaltlich-didaktischen Ausgestaltung des öffentlichen Schulwesens, seiner Ausbildungsgänge sowie des dort erteilten Unterrichts begründet, was insbesondere auch die Bestimmung der Unterrichtsziele, der Unterrichtsmethoden und des Unterrichtsstoffes umfasst. Dem Staat obliegt die Schulhoheit.[29]VG Berlin, BeckRS 2025, 14062, Rn. 26; ebenso BVerfG, BeckRS 1982, 108514; Dürig/Herzog/Scholz/Badura, GG, 107. EL März 2025, Art. 7 GG Rn. 45 ff. Diese Maßstäbe gelten auch für die ergänzende Förderung und Betreuung in Schulhort, soweit durch pädagogisch geschultes Personal erzieherischer Einfluss auf die Kinder genommen wird. Angesichts ihres besonderen pädagogischen Verhältnisses gelten für sie die verfassungsrechtlichen Maßstäbe zum Schulunterricht.[30]VG Berlin, BeckRS 2025, 14062, Rn. 29.

In Frage steht das Aufhängen einer intersex-inclusive Progress-Regenbogenflagge im Rahmen der ergänzenden Förderung und Betreuung im schulischen Hort. Ziel dieser Maßnahme ist – nicht nur, aber vor allem – die verstärkte Sichtbarkeit marginalisierter Gruppen sowie die Sensibilisierung der Kinder für Diversität. Angesichts der hierbei verfolgten erzieherischen Elemente taugt der staatliche Erziehungsauftrag des Art. 7 I GG als Schranke. 

b) Schranken-Schranke

Der Eingriff in Art. 6 II 1 GG durch das Aufhängen der Flagge müsste darüber hinaus jedoch auch den Anforderungen der Schranken-Schranken genügen. Erforderlich ist, dass sich das Aufhängen der Flagge auf eine verfassungskonforme Ermächtigungsgrundlage stützt und sich auch bei der Anwendung im Einzelfall als verfassungsgemäß darstellt.

aa) Verfassungsmäßigkeit der notwendigen Rechtsgrundlage

Gemäß dem Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes bedarf grundsätzlich jedes staatliche, belastende Handeln einer Rechtsgrundlage („Kein Handeln ohne Gesetz“). Auch für den bloßen Realakt des Aufhängens einer Flagge im schulischen Kontext ist daher eine Rechtsgrundlage erforderlich. Laut Bearbeitungsvermerk existiert im Schulgesetz des Landes Berlin eine allgemeine pädagogische Generalklausel, die sich auch auf Mitarbeitende eines Schulhorts erstreckt. Die Generalklausel ermöglicht es, Kinder in eigener pädagogischer Verantwortung im Rahmen der Bildungs- und Erziehungsziele des Schulgesetzes zu betreuen. Als ein solches Ziel wird von § 3 III Nr. 1 Schulgesetz für das Land Berlin ua definiert, dass die Kinder befähigt werden sollen „die Beziehungen zu anderen Menschen in Respekt, Gleichberechtigung und gewaltfreier Verständigung zu gestalten sowie allen Menschen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen“. Diese Rechtsgrundlage kann für das Aufhängen einer intersex-inclusive Progress-Regenbogenflagge fruchtbar gemacht werden, dient sie doch ausdrücklich der Erhöhung der Sichtbarkeit marginalisierter Gruppen und der Förderung des entsprechenden Bewusstseins bei Heranwachsenden. Gründe, die an der Verfassungsmäßigkeit der pädagogischen Generalklausel zweifeln lassen, sind nicht ersichtlich. Mithin stützt sich das Aufhängen der Flagge auf eine verfassungskonforme Rechtsgrundlage.

bb) Verfassungsmäßigkeit des Einzelakts

Das Aufhängen der intersex-inclusive Progress-Regenbogenflagge müsste sich allerdings auch im Einzelfall als verfassungsmäßig darstellen. Das elterliche Erziehungsrecht aus Art. 6 II 1 GG und der Bildungs- und Erziehungsauftrag aus Art. 7 I GG stehen sich gleichrangig gegenüber und müssen in einen schonenden Ausgleich gebracht werden (praktische Konkordanz). Aus dieser Konkurrenz – und zum schonenden Ausgleich zwischen Elternrecht und staatlichem Auftrag (sowie den Abwehrrechten der Schüler*innen) – folgt das Gebot der politischen Neutralität im Schulwesen.[31]VG Berlin, BeckRS 2025, 14062, Rn. 27.

Es ist daher zu klären, welcher rechtliche Maßstab dem Neutralitätsgebot innewohnt und ob dieser im konkreten Einzelfall durch das Aufhängen der intersex-inclusive Progress-Regenbogenflagge gewahrt wurde.

(1) Maßstabsbildung des Neutralitätsgebots
(a) Grundsatz: Das Gebot der erzieherischen Pluralität

Das Neutralitätsgebot verpflichtet dazu, „die Neutralität der Schule insoweit sicherzustellen, als für eine angemessene Rücksichtnahme auf die in einer pluralen Gesellschaft naturgemäß unterschiedlichen Elternauffassungen gesorgt und jede einseitige Werbung politischer Art seitens der Lehrerschaft unterbunden wird.“[32]VG Berlin, BeckRS 2025, 14062, Rn. 30.

Die Erziehungsarbeit der Schule – die tiefgreifenden Einfluss auf die ganze Persönlichkeitsentwicklung der Schüler*innen nimmt – hat die elterliche Verantwortung für die Erziehung zu achten. Sie muss daher für eine Vielfalt weltanschaulicher, ideologischer oder politischer Richtungen offen sein, soweit dies mit einem geordneten Schulsystem vereinbar ist. „Der Unterricht und das ihm dienende Material haben inhaltlich so weit offen und von politischer, ideologischer oder weltanschaulicher Identifikation wenigstens in dem Maße frei zu sein, dass sie die von den Anschauungen der Eltern geprägte häusliche Erziehung nicht zunichtemachen. Politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtungen darf deshalb weder im Unterricht noch im Material gezielt parteiisch, gleichsam mit Missionstendenz das Wort geredet werden, in umstrittenen, die Öffentlichkeit berührenden Fragen nicht die eine Seite verteufelt, die andere Seite verherrlicht werden.“[33]VG Berlin, BeckRS 2025, 14062, Rn. 30. Letztlich soll das Neutralitätsgebot verhindern, dass „Kinder in gesellschaftspolitisch grundlegenden Kontroversen in der Schule einseitig indoktriniert werden und damit ihre Erziehung möglicherweise beeinträchtigt wird.“[34]VG Berlin, BeckRS 2025, 14062, Rn. 30.

Für die einzelnen Lehrkräfte und Mitarbeitenden in Schulhorts bedeutet dies, dass sie – unbeschadet ihres Rechts, im Unterricht sowie der Betreuungsarbeit die eigene Meinung zu äußern –, dafür zu sorgen haben, dass im Rahmen des Bildungsauftrags der Schule auch andere politische, ideologische oder weltanschauliche Auffassungen zur Geltung kommen und eine einseitige Beeinflussung der Schüler*innen unterbleibt.[35]VG Berlin, BeckRS 2025, 14062, Rn. 28 f.

(b) Aber: Kein Anspruch auf „wertfreie“ und „tendenzfreie“ Erziehung

Allerdings verpflichtet das Neutralitätsgebot den Staat sowie die Lehrkräfte und Mitarbeitenden in Schulhorts nicht zu einer „wertfreien“ oder „tendenzfreien“ Erziehung.

Zum einen bedeutet Neutralität normativ gesehen nicht „Wertfreiheit“. Insbesondere gegenüber den Werten der freiheitlich-demokratischen Grundordnung und den damit verbundenen Prinzipien müssen sich Schulen nicht neutral verhalten. Schließlich zielt die Erziehung junger Menschen auf Haltung, Charakter, Eigenschaften und Einstellungen eines Menschen ab und setzt somit eine Beurteilung und Kritik gesellschaftlicher Verhältnisse voraus. Eine völlige „Binnenpluralität“ von Unterrichtsinhalten ist daher nicht erforderlich.[36]VG Berlin, BeckRS 2025, 14062, Rn. 31.

Zum anderen kann Erziehung auch bereits rein praktisch niemals „tendenzfrei“ sein. Es ist nicht möglich, „den Unterricht etwa im Sinne eines Minimalkonsenses allein auf solche ethischen Grundnormen auszurichten, denen sich jedermann verpflichtet fühlt oder fühlen müsste.“[37]VG Berlin, BeckRS 2025, 14062, Rn. 31. Aus dem elterliche Erziehungsrecht aus Art. 6 II 1 GG lässt sich daher kein Anspruch der Eltern gegenüber der Schule – und mittelbar gegenüber den einzelnen Lehrkräften und Mitarbeitenden – ableiten, „dass die Verwendung von Materialien unterbleibt, die auf kontroversen und von den Betroffenen bekämpften bildungspolitischen Intentionen beruhen.“[38]VG Berlin, BeckRS 2025, 14062, Rn. 31.

(c) Zwischenergebnis

Im Ergebnis ist die praktische Konkordanz im Grundsatz daher dergestalt aufzulösen, dass aus Art. 6 II 1 GG kein Recht auf eine „wertfreie“ und „tendenzfreie“ Erziehung der Kinder folgt. Im Spannungsverhältnis mit der Aufsicht des Staates über das Schulwesen aus Art. 7 I GG gewährt das elterliche Erziehungsrecht ‚nur‘ das Recht, dass die gesamte Schulerziehung (d.h. inklusive Schulhort) „nicht als Mittel verwendet [wird], die Schulkinder politisch, ideologisch oder weltanschaulich zu indoktrinieren.“[39]VG Berlin, BeckRS 2025, 14062, Rn. 31.

(2) Bewertung im konkreten Einzelfall

Diesen Maßstab zu Grunde gelegt, stellt sich die Frage, ob das Aufhängen der intersex-inclusive Progress-Regenbogenflagge eine erlaubte wertende Handlung darstellt oder als Mittel zur politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Indoktrination zu werten ist.

Hierfür müsste das bloße Zurschaustellen eines Symbols überhaupt eine unzulässige indoktrinierende Kundgabe einer politischen oder weltanschaulichen Meinung begründen können. Vor dem Hintergrund, dass mit einem Symbol ein Werturteil zum Ausdruck gebracht werden kann, welches durch ein Element der Stellungnahme, des Meinens oder Dafürhaltens gekennzeichnet ist, erscheint dies jedoch nicht ausgeschlossen; erforderlich ist eine Würdigung des Einzelfalls unter Berücksichtigung aller Umstände.[40]VG Berlin, BeckRS 2025, 14062, Rn. 33.

Zentral ist mithin die Frage, ob der intersex-inclusive Progress-Regenbogenflagge eine indoktrinierende Kundgabe einer politischen oder weltanschaulichen Meinung entnommen werden kann. Die ursprünglich sechsfarbige Regenbogenflagge (sogenannte „Pride“-Flagge) verweist durch ihre Farbsymbolik auf verschiedene Gruppen sexueller und geschlechtlicher Identität und macht primär auf deren Existenz aufmerksam. Sie gilt „im Rahmen staatlicher Öffentlichkeitsarbeit gemeinhin als Zeichen der Toleranz und Akzeptanz sowie der Vielfalt von Lebensformen“ und wird von vielzähligen staatlichen Institutionen verwendet. Die erweiterte Regenbogenflagge (sogenannte intersex-inclusive Progress-Regenbogenflagge) symbolisiert durch fünf weitere Farben sowie einen Kreis in der Farbe Lila weitere marginalisierte Personenkreise und macht in erster Linie darauf aufmerksam, dass es diese gibt.[41]Vertiefend zur Herleitung der Symbolik VG Berlin, BeckRS 2025, 14062, Rn. 34. Das Aufhängen der Flagge dient insbesondere auch dazu, „transgeschlechtlichen Schulangehörigen einen Raum der Freiheit individueller Persönlichkeitsentfaltung sowie eine etwaige Schutzbereitschaft des Erziehungspersonals zu symbolisieren“.[42]VG Berlin, BeckRS 2025, 14062, Rn. 36.

Damit „verweist [die Flagge] weder explizit noch unterschwellig auf politische Programme oder konkrete Forderungen der Gesamtheit oder einzelner der symbolisierten Gruppen, geschweige denn, dass darin ein Aufruf zu sehen wäre, sich einer der Gruppen anzuschließen. Es handelt sich insofern um ein im Wesentlichen ‚passives‘ Symbol, das seiner äußeren Form nach keinen vergleichbaren Einfluss hat wie eine didaktische Rede oder die Teilnahme an bestimmten Aktivitäten.“[43]VG Berlin, BeckRS 2025, 14062, Rn. 34. Der eigentliche erzieherische Einfluss liegt insoweit in der kommunikativen Behandlung solcher Themen durch das Lehr- und Erziehungspersonal, nicht in der bloßen Präsenz der Flagge. Sollte die Möglichkeit „überschießender Intentionen oder Deutungen besteh[en], […]  wäre solchen primär durch das zuständige Erziehungspersonal entgegenzuwirken.“[44]VG Berlin, BeckRS 2025, 14062, Rn. 36.

Die Flagge „propagiert“ insbesondere auch keine Position einer „geschlechtliche[n] Zuordnungen jenseits des männlichen und weiblichen Geschlechts […], die in naturwissenschaftlicher Hinsicht als Mindermeinung anzusehen“ sei. „Eine dahingehende ‚These‘ ist der Flagge schon nicht zu entnehmen, da sie mit der Farbsymbolik nicht allein an biologische Kategorien anknüpft, sondern darüber hinaus an die Selbstbestimmung der (auch: geschlechtlichen) Identität. Damit steht nicht eine naturwissenschaftliche Zuordnung von Geschlechtern im Fokus, sondern die Selbstidentifikation der betreffenden Personenkreise.“[45]VG Berlin, BeckRS 2025, 14062, Rn. 34. Gerade die geschlechtliche Identität genießt hierbei, als Ausdruck des allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG), einen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz; dies gilt insbesondere auch für die geschlechtliche Identitäten derjenigen, die sich dauerhaft weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen lassen.[46]BVerfG, BeckRS 2017, 130176, Rn. 37 ff.

Soweit der Flagge eine gesellschaftspolitische Wertung innewohnt, beschränkt sich diese auf die Bekräftigung der verfassungsgerichtlich gesicherten Existenzberechtigung der dargestellten Personengruppen und wendet sich gegen deren Diskriminierung. Diese Wertung entspricht dem Diskriminierungsverbot aus Art. 3 III 1 GG sowie den schulgesetzlichen Vorgaben, wonach Schulen Schüler*innen insbesondere befähigen sollen, „die Beziehungen zu anderen Menschen in Respekt, Gleichberechtigung und gewaltfreier Verständigung zu gestalten sowie allen Menschen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen“ (§ 3 III Schulgesetz für das Land Berlin).[47]VG Berlin, BeckRS 2025, 14062, Rn. 35.

Eine Verletzung des Neutralitätsgebots durch die intersex-inclusive Progress-Regenbogenflagge liegt damit nicht vor.

c) Zwischenergebnis

Das Aufhängen der Flagge (= das Handeln) ist nicht rechtswidrig gewesen. Gründe dafür, dass gleichwohl die hängende Flagge (= der Zustand) rechtswidrig ist, sind nicht ersichtlich; dort ergeben sich insbesondere hinsichtlich der praktischen Konkordanz zwischen elterlichem Erziehungsrecht (Art. 6 II 1 GG) und staatlichem Bildungs- und Erziehungsauftrag (Art. 7 I GG) die gleichen Wertungen. Der Zustand der derzeitig im Schulhort hängenden Flagge ist mithin rechtmäßig. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des FBA sind nicht erfüllt.

C. Ergebnis

Da die Anspruchsvoraussetzungen des FBA nicht erfüllt sind, besteht kein Anspruch auf Entfernen der intersex-inclusive Progress-Regenbogenflagge. Die Leistungsklage der E ist daher zwar zulässig, aber unbegründet.


Zusatzfrage

Die Erzieherin hatte im Hort nicht nur die intersex-inclusive Progress-Regenbogenflagge aufgehängt, sondern auch verschiedene Ausmalbilder aus dem Ausmalbuch „Drag Queen Color Therapy: An Adult Drag Queen Coloring Book“ ausgelegt, die von den Kindern in der Freizeitgestaltung genutzt werden konnten. Die Ausmalbilder zeigten verschiedene, mit Namen beschriftete, Drag-Queen-Personen im Profil. Nachdem sich die Eltern E mit dem Argument bei der Schulleitung beschwerten, dass die Ausmalbilder für Kinder im Grundschulalter gänzlich ungeeignet sein, wurden die Ausmalbilder aus dem Hort entfernt. Seitdem wurden im Hort keine entsprechenden Ausmalbilder mehr ausgelegt, ein erneutes Auslegen wird ausdrücklich nicht beabsichtigt. „Um auf nur mal sicher zu gehen, dass die Ausmalbilder zukünftig nie wieder ausgeteilt werden“, wollen die Eltern vor dem Verwaltungsgericht feststellen lassen, dass das erstmalige Auslegen der Ausmalbilder einen rechtswidrigen Eingriff in ihr elterliches Erziehungsrecht begründet hat. Besteht für die Eltern ein diesbezügliches Feststellungsinteresse?
Die Eltern müssten „ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung“ (§ 43 I VwGO) der Rechtswidrigkeit des Auslegens der Ausmalbilder haben. Der Begriff des „berechtigen Interesses“ ist weiter als der des subjektiven Rechts i.S.v. § 42 II VwGO, ansonsten allerdings unscharf. Im Kern genügt jedoch jedes nach der Sachlage anzuerkennende schutzwürdige Interesse rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art.[48]Vertiefend Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 23. Auflage 2025, Rn. 1402; Hufen, Verwaltungsprozessrecht, 13. Aufl. 2024, § 18 Rn. 13.

Sofern sich das behördliche Handeln jedoch erledigt hat und die Beschwer entfallen ist (wie hier durch das Entfernen der Ausmalbilder), ist die Feststellungsklage nur zulässig, „wenn diejenigen Voraussetzungen erfüllt sind, die für das berechtigte Interesse an einer Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 I 4 VwGO gelten“.[49]Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 23. Auflage 2025, Rn. 1402. Für das berechtigte Interesse der klagenden Eltern ist daher erforderlich, dass zum Beispiel eine Wiederholungsgefahr droht oder ein Rehabilitationsinteresse besteht.[50]Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 23. Auflage 2025, Rn. 1426 ff.

Eine Wiederholungsgefahr besteht, wenn die Gefahr droht, „dass unter im Wesentlichen unveränderten tatsächlichen und rechtlichen Umständen ein gleichartiger Verwaltungsakt ergeht bzw. eine gleichartige behördliche Entscheidung getroffen wird.“[51]VG Berlin, BeckRS 2025, 14062, Rn. 17. Seitdem die Ausmalbilder eingesammelt wurden, wurden im Hort keine weiteren entsprechenden Bilder mehr ausgelegt. Darüber hinaus wird ein erneutes Auslegen ausdrücklich nicht beabsichtigt. Es ist mithin keine hinreichende Gefahr ersichtlich, dass sich das gerügte Verwaltungshandeln wiederholen wird.[52]VG Berlin, BeckRS 2025, 14062, Rn. 17.

Ein Rehabilitationsinteresse kann angenommen werden, wenn von der fraglichen Maßnahme eine nach außen gerichtete, anhaltende diskriminierende Wirkung ausgeht (z.B. bei einer sachlich-falschen Warnung). [53]Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 23. Auflage 2025, Rn. 1427. Hierfür fehlen jegliche Anhaltspunkte, es fehlt bereits an einer stigmatisierenden Wirkung der Eltern durch die Ausmalbilder.[54]VG Berlin, BeckRS 2025, 14062, Rn. 18.

Auch die übrigen Fallgruppen des berechtigten Interesses – Vorbereitung einer Amtshaftungs- oder Entschädigungsklage; Verwaltungsakte, die sich typischerweise kurzfristig erledigen; schwerwiegende Grundrechtseingriffe (strittige Fallgruppe) –[55]Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 23. Auflage 2025, Rn. 1426 ff. sind nicht einschlägig. Mithin fehlt den E ein Feststellungsinteresse i.S.v. § 43 I VwGO.


Zusammenfassung

1. Art. 6 II 1 GG gewährt Eltern das Recht, den Umgang ihres Kindes mit gesellschaftlichen Fragen nach ihren Vorstellungen erzieherisch zu steuern. Dem steht der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag (Art. 7 I GG) gleichrangig gegenüber; aus diesem Spannungsverhältnis folgt als Ausprägung praktischer Konkordanz das schulische Neutralitätsgebot.

2. Das Neutralitätsgebot verlangt keine „wert-“ oder „tendenzfreie“ Erziehung; es untersagt lediglich, die Schule (einschließlich Hort) zur politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Indoktrination zu nutzen.

3. Die intersex-inclusive Progress-Flagge ist ein ‚passives‘ Symbol; maßgebliche erzieherische Wirkung entsteht – wenn überhaupt – erst durch die begleitende Kommunikation des Erziehungspersonals und nicht durch die bloße Präsenz der Flagge. Die Flagge bekräftigt ‚lediglich ‘ die Existenz der repräsentierten Gruppen und wendet sich gegen Diskriminierung – im Einklang mit Art. 3 III 1 GG.

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