Angelehnt an BGH, Beschluss vom 21.01.2025 – 6 StR 676/24, NStZ 2025, 358[1]BGH NStZ 2025, 358..
Sachverhalt
A betankte seinen Pkw an einer SB‑Tankstelle. Bei dieser SB-Tankstelle wählt der Fahrer zuerst die Zapfsäule, tankt selbstständig und geht danach in den Verkaufsraum, um unter Nennung seiner Tanksäule beim Kassenpersonal zu bezahlen. Von Anfang an nicht zahlungswillig, fuhr A nach Beendigung des Tankvorgangs weg, ohne zu bezahlen. Die Betreiberin der Tankstelle im Ladengeschäft, die B, war gerade zur Toilette gegangen und bekam nicht mit, dass A auf die Tankstelle fuhr. A ging davon aus, beobachtet zu werden. Die Betreiberin der Tankstelle stellte später Strafantrag gegen A.
Wie hat A sich strafbar gemacht?
Abwandlung:
A wurde während des Tankens und Wegfahrens von der Tankstellenbetreiberin B beobachtet.
Hat a sich gem. § 263 I StGB wegen Betrugs strafbar gemacht?
Skizze
Gutachten Ausgangsfall
A. Strafbarkeit des A wegen Diebstahls gem. § 242 I StGB
A könnte sich gem. § 242 I StGB wegen Diebstahls strafbar gemacht haben, indem er, ohne zu bezahlen, an der SB-Tankstelle tankte und mit dem betankten PKW davonfuhr.
I. Objektiver Tatbestand
1. Fremde bewegliche Sache
A müsste eine fremde bewegliche Sache weggenommen haben. Der von A in den Tank eingefüllte Kraftstoff ist beweglich.
Vernetztes Lernen: Kommt es im Rahmen des § 242 I auf den Aggregatszustand des Gegenstands an?Nein, auf den Aggregatzustand (fest, flüssig, gasförmig) des Gegenstandes kommt es für die Sacheigenschaft nicht an.
Nein, mangels Körperlichkeit ist der elektrische Strom keine Sache[2]RGSt 29, 112; 32, 172.. Deshalb stellt § 248c die Entziehung elektrischer Energie ausdrücklich unter Strafe.
Das getankte Benzin müsste für den A auch fremd gewesen sein. Fremd ist eine Sache, wenn sie im zivilrechtlichen (Mit-)Eigentum eines anderen steht. Fraglich ist, wer zum Zeitpunkt der Tathandlung (§ 8 StGB) Eigentümer des in den Tank eingefüllten Benzins war. Zumindest zu Beginn des Tankvorgangs war A nicht Alleineigentümer des eingefüllten Benzins, weshalb es zu diesem Zeitpunkt eine für A fremde bewegliche Sache war. Allerdings könnte A Eigentum am Benzin erworben haben, als er es in seinen Tank füllte.
A könnte Alleineigentum kraft Gesetzes durch Vermischung mit dem sich im Tank befindlichen Restbenzin nach § 948 I Var. 1 i.V.m § 947 II BGB erworben haben. Dies scheidet jedoch aus, wenn der Täter – was regelmäßig der Fall sein wird – mehr Benzin tankt, als sich noch im Tank seines Fahrzeugs befindet. Scheidet ein Alleineigentumserwerb aus, werden die Eigentümer der einzelnen Benzinchargen (bisherigen Benzin im Tank und Benzin aus der Zapfsäule) infolge der Vermischung des Benzins Miteigentümer des Benzin-Gemischs im Tank. In Miteigentum stehende Sachen sind taugliche Diebstahlsobjekte[3]vgl. BGH bei Dallinger, MDR 1953, 400 (402); OLG Düsseldorf, NJW 1992, 60 (61)..
Möglicherweise ist A aber durch Übereignung Alleineigentümer des getankten Kraftstoffs geworden. Dies wäre jedoch nur der Fall, wenn in der Selbstbedienung des Kunden an SB-Tankstellen ein konkludentes Angebot auf Eigentumsübertragung gemäß § 929 I BGB liegen würde. Eine dingliche Einigung zwischen Veräußerer und Erwerber setzt voraus, dass sie dem sachenrechtlichen Bestimmtheitsgrundsatz entspricht. Er ist nur dann gewahrt, wenn im Zeitpunkt des Eigentumsübergangs des Kraftstoffs für einen objektiven Dritten anhand äußerer Abgrenzungskriterien eindeutig erkennbar ist, wie viel und welche Art des Benzins von der Übereignung erfasst werden soll[4]vgl. Borchert/Hellmann, NJW 1983, 2799 (2802).. Allerdings hat während des Tankvorgangs weder der Tankstellenbetreiber noch dessen Mitarbeiter Kenntnis von der Menge oder Art des abgezapften Kraftstoffs. Auch die durch Auslegung anhand der §§ 133, 157 BGB zu ermittelnder Interessenlage der Parteien steht einem Eigentumserwerb schon an der Zapfsäule entgegen. Zwar hat der Kunde ein Interesse daran, möglichst frühzeitig Eigentum an dem Benzin zu erwerben. Hingegen hat die Tankstellenbetreiberin kein Interesse daran, das Eigentum an dem Benzin zu einem so frühen Zeitpunkt zu verlieren. Somit kann auch nicht von einem entsprechenden Willen zur Unterbreitung eines Übereignungsangebots ausgegangen werden. Nach Betrachtung der wechselseitigen Interessen der Parteien muss vielmehr davon ausgegangen werden, dass das Eigentum an dem Benzin – parallel zu den Eigentumsverhältnissen beim Kauf in einem Selbstbedienungsgeschäft – erst beim Bezahlen an der Kasse übergeht[5]so OLG Hamm, NStZ 1983, 266 (267).. Mithin hat A kein Alleineigentum an dem Benzin erworben, sodass das Benzin für ihn eine fremde, bewegliche Sache war.
2. Wegnahme
A müsste das Benzin weggenommen haben. Wegnahme ist der Bruch fremden und Begründung neuen Gewahrsams gegen oder ohne den Willen des Berechtigten. Die sog. Lehre vom bedingten Einverständnis geht in den Fällen des SB-Tankens von einem tatbestandsausschließenden Einverständnis des Tankstelleninhabers oder seines Mitarbeiters aus, solange sich der Kunde äußerlich – also objektiv – korrekt verhält und die Selbstbedienungsanlage ordnungsgemäß bedient[6]Heintschel-Heinegg, JA 2012, 305, 306.. Selbst die inneren Absichten oder die fehlende Zahlungsbereitschaft des Täters[7]Vgl. BGH NJW 2012, 1092. stehen dem nicht entgegen, denn angesichts des faktischen Charakters ist das Einverständnis selbst dann wirksam, wenn es erschlichen wurde.
Analog der Behandlung des Automatendiebstahls ist die Gewahrsamsübertragung auch beim Tanken an SB-Tankstellen nicht an ein bedingtes Einverständnis geknüpft, insofern, als es von der vollständigen Bezahlung des Kaufpreises abhinge. Verhält sich der Täter korrekt und bedient er die Selbstbedienungsanlage ordnungsgemäß, ist von einem einverständlichen Gewahrsamsübergang auszugehen, der eine Wegnahme ausschließt. Mithin hat A nicht den Gewahrsam gebrochen und das Benzin folglich nicht weggenommen.
II. Ergebnis
A hat sich nicht gem. § 242 I StGB strafbar gemacht.
B. Strafbarkeit des A wegen Betrugs gem. § 263 I StGB
A könnte sich gem. § 263 I StGB wegen Betrugs gegenüber und zu Lasten der Tankstellenbetreiberin strafbar gemacht haben, indem er zahlungsunwillig Benzin tankte und damit davonfuhr.
I. Objektiver Tatbestand
1. Täuschung
A müsste einen anderen getäuscht haben. Täuschung ist jede bewusst irreführende intellektuelle Einwirkung auf das Vorstellungsbild des Opfers. A gab durch sein Auftreten als zahlungswilliger Kunde an der Tankstelle und das äußerlich ordnungsgemäße Tanken vor, den Kaufpreis für das Benzin entrichten zu wollen. Tatsächlich war er nicht zahlungswillig. Somit täuschte A konkludent über die innere Tatsache seiner Zahlungsbereitschaft.
2. Irrtum
Infolge der Täuschung müsste jemand über die Zahlungsbereitschaft des A geirrt haben. Irrtum ist eine der Wirklichkeit nicht entsprechende Vorstellung über Tatsachen. Dafür müsste der Tankvorgang vom Personal überhaupt bemerkt worden sein. Das Tankstellenpersonal hatte vorliegend nicht mitbekommen, dass der A auf das Tankstellengelände gefahren war und sich somit auch keine Vorstellung über dessen Zahlungsbereitschaft gemacht. Folglich wurde kein Irrtum erregt [8]vgl. BGH, Beschl. v. 21.01.2025 – 6 StR 676/24, Rn. 4..
II. Ergebnis
Mangels Irrtumserregung hat A sich nicht wegen vollendeten Betrugs gem. § 263 I StGB strafbar gemacht.
C. Strafbarkeit des A wegen versuchten Betrugs gem. §§ 263 I, II, 22, 23 StGB
A könnte sich gem. §§ 263 I, II, 22, 23 StGB wegen versuchten Betrugs gegenüber und zu Lasten der Tankstellenbetreiberin strafbar gemacht haben, indem er zahlungsunwillig Benzin tankte und damit davonfuhr.
I. Tatentschluss
A müsste einen entsprechenden Tatentschluss gehabt haben. Erforderlich ist Vorsatz bezüglich aller Tatbestandsmerkmale der in Aussicht genommener Tat sowie alle sonstigen subjektiven Merkmale. Vorsatz ist der Wille zur Verwirklichung des Straftatbestandes in Kenntnis all seiner objektiven Umstände. A hatte sich vorgenommen, seine Zahlungsbereitschaft konkludent vorzutäuschen, dadurch bei der ihn beobachtenden Tankstellenbetreiberin einen Irrtum auszulösen, um daraufhin einen Besitzverlust der Tankstellenbetreiberin am Benzin herbeizuführen, der sich in einem entsprechenden Vermögensschaden auf Seiten der Tankstellenbetreiberin niederschlagen würde.
A müsste auch mit Bereicherungsabsicht gehandelt haben, mithin in dem Streben nach einem Vermögensvorteil, also der Mehrung des wirtschaftlichen Wertes der eigenen Vermögenslage. Ihm kam es gerade darauf an, seine eigene Vermögenslage um das Benzin der Tankstellenbetreiberin zu mehren. Dieser erstrebte Vorteil korrespondiert stoffgleich mit ihrem Schaden und ist mangels Rechtsanspruchs auf ihn rechtswidrig. A wusste auch, dass er keinen Anspruch auf die Verschaffung des Benzins hat. Somit handelte er mit der erforderlichen Bereicherungsabsicht.
II. Unmittelbares Ansetzen
A müsste unmittelbar zur Tat angesetzt haben. Nach der sog. Kombinationstheorie ist ein unmittelbares Ansetzten dann gegeben, wenn der Täter subjektiv die Schwelle zum „Jetzt-geht’s-los“ überschreitet und objektiv Handlungen vornimmt, die nach seiner Vorstellung von der Tat bei ungestörtem Fortgang ohne wesentliche Zwischenschritte zur Tatbestandsverwirklichung führen oder mit ihr in unmittelbarem räumlichem und zeitlichem Zusammenhang stehen. Mit äußerlich ordnungsgemäßem Einfüllen des Benzins in den Tanks täuschte A bereits über seine fehlende Zahlungsbereitschaft, objektiv wurde die Tathandlung somit schon ausgeführt; aus ex‑ante‑Sicht waren keine wesentlichen Zwischenschritte erforderlich. Subjektiv ging A davon aus, beobachtet zu werden. Damit sollte nach seiner Vorstellung das Vortäuschen der Zahlungsbereitschaft unmittelbar in einen Irrtum des Tankstellenpersonals münden und damit zu einer Vermögensverfügung in Form eines Gewährenlassens bzw. Wegfahrenlassens führen. Folglich hat A unmittelbar zur Tat angesetzt.
III. Rechtswidrigkeit und Schuld
A handelte rechtswidrig und schuldhaft.
IV. Rücktritt
Für einen Rücktritt des A bestehen keine Anhaltspunkte.
V. Ergebnis
A hat sich wegen versuchten Betrugs strafbar gemacht.
D. Strafbarkeit des A wegen Unterschlagung gem. § 246 I StGB durch das Tanken
A könnte sich gem. § 246 I StGB wegen Unterschlagung strafbar gemacht haben, indem er an der Tankstelle Benzin in seinen Pkw tankte.
I. Objektiver Tatbestand
1. Fremde bewegliche Sache
Bei dem Benzin handelt es sich zum Zeitpunkt des Tankens um eine fremde bewegliche Sache (s.o.).
2. Zueignung
A müsste sich das Benzin durch das Tanken zugeeignet haben. Nach der sog. Manifestationstheorie liegt eine Zueignung erst dann vor, wenn ein in die Pläne des Täters eingeweihter objektiver Dritter die Handlung des Täters als Betätigung des Zueignungswillens erkennen würde, wobei die Handlung des Täters absolut unzweideutig auf diese Betätigung hindeuten muss. Der Tankvorgang lief nach außen hin sichtbar ordnungsgemäß ab. Dabei wird beim ordnungsgemäßen Tankvorgang nach zivilrechtlichen Grundsätzen das Eigentum erst bei der Bezahlung des Kraftstoffs übertragen (s.o.). Ein objektiver Dritter hätte in dem äußerlich ordnungsgemäßen bloßen Tanken keine unzweideutige Zueignungshandlung erkennen können, sodass A sich das Benzin nicht zugeeignet hat.
II. Ergebnis
Durch das Tanken hat A sich nicht gem. § 246 I StGB strafbar gemacht.
E. Strafbarkeit wegen Unterschlagung gem. § 246 I StGB durch das Wegfahren
A könnte sich gem. § 246 I StGB wegen Unterschlagung strafbar gemacht haben, indem er mit dem getankten Benzin wegfuhr.
I. Objektiver Tatbestand
1. Fremde bewegliche Sache
Bei dem Benzin handelt es sich um eine fremde bewegliche Sache für A (s.o.).
2. Zueignung
Beim Verlassen des Tankstellengeländes mitsamt dem Benzin manifestierte sich der Wille des A, sich den Kraftstoff zuzueignen eindeutig und nach außen hin erkennbar, sodass er sich damit den Kraftstoff zueignete.
3. Rechtswidrigkeit der Zueignung
Indem diese Zueignung der materiellen Eigentumsordnung widersprach und nicht durch einen fälligen und einredefreien Übereignungsanspruch des A gedeckt war, war sie auch rechtswidrig.
II. Subjektiver Tatbestand
A müsste vorsätzlich gehandelt haben. A wollte sich über den Kraftstoff nach außen hin erkennbar wie ein Eigentümer gerieren und wusste, dass er keinen Übereignungsanspruch hinsichtlich des Benzins hatte. Er handelte somit vorsätzlich.
III. Rechtswidrigkeit und Schuld
A handelte rechtswidrig und schuldhaft.
IV. Ergebnis
A hat sich durch das Wegfahren gem. § 246 I StGB strafbar gemacht.
F. Strafbarkeit des A wegen Erschleichen von Leistungen gem. § 265a I StGB
A könnte sich durch das Tanken wegen Erschleichen von Leistungen gem. § 265a I StGB strafbar gemacht haben.
I. Objektiver Tatbestand
1. Leistung eines Automaten
A könnte sich die Leistung eines Automaten erschlichen haben. Fraglich ist, ob vorliegend ein Automat i.S.d. § 265a I StGB gegeben ist. SB-Tankstellen sind keine klassischen Leistungsautomaten, sondern höchstens Warenautomaten. Ob diese vom Automatengriff des § 265a I StGB umfasst sein sollen, ist umstritten. Im Streit, ob § 265a I Var. 1 StGB („Leistung eines Automaten“) auch Warenautomaten erfasst, stehen sich eine enge und eine weite Lesart gegenüber.
Die enge Ansicht versteht „Leistung“ primär als unkörperliche Dienstleistung (Telefon, Waage, Spielautomat)[9]Vgl. RG 13./20.12.1900 – 4104/00, RGSt 34, 45; BGH 22.4.1952 – 2 StR 101/52, MDR 1952, 563; BayObLG 8.7.1955 – 3 St 239/54, BayObLGSt 1955, 120 f. = NJW 1955, 1448 (Leitsatz); OLG Düsseldorf … Continue reading. Danach sind Warenautomaten, die Sachen ausgeben (Zigaretten-, Getränke-, Fahrkartenautomaten), nicht tatbestandlich erfasst. Die Zapfsäule der SB-Tankstelle ist eine Anlage zur Sachabgabe von Kraftstoff und damit nach der engen Ansicht kein Automat i.S.d. § 265a StGB.
Eine „weite“ Ansicht betrachtet „Leistung“ auch als Sachen- bzw. Besitz-/Eigentumsverschaffung; der Übergabeakt des Automaten sei dann selbst die entgeltliche Leistung[10]Hilgendorf JR 1997, 347 (348); Bock JA 2017, 357 (358); ders. StrafR BT/2 S. 497; HK-GS/Duttge Rn. 6; Satzger/Schluckebier/Widmaier/Saliger Rn. 8; LK-StGB/Tiedemann Rn. 21; LK-StGB/Lackner, 10. … Continue reading. Die Abgabe von Benzin an der Zapfsäule einer SB-Tankstelle verschafft dem sie Benutzenden den Besitz an dem Kraftstoff. Nach dieser Ansicht wäre also auch der Warenautomat und damit die Zapfsäule der SB-Tankstelle ein Automat i.S.d. § 265a StGB.
Beide Ansichten kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen, sodass ein Streitentscheid erforderlich ist. Die enge Ansicht berücksichtigt, dass das Entgelt an sich für die durch den Automaten erlangte Sache und nicht für die Leistung entrichtet wird. Das entspricht systematisch den übrigen Varianten des § 265a StGB, die allesamt nur unkörperliche Leistungen betreffen. Es entspricht auch der Auffangfunktion der Norm: Bei Warenentnahmen greift regelmäßig bereits § 242 StGB, sodass für § 265a StGB kein Bedarf besteht[11]NK-StGB/Hellmann § 265a Rn. 19.. Demgegenüber betont die weite Ansicht den Wortlaut und die Schutzzweck-Teleologie. Dass die Gegenleistung nicht dem Gerät, sondern dem Leistungserbringer zufließt, spricht gerade für eine funktionale Auslegung des Merkmals. Auch systematisch zwingt nichts zu einer Reduktion auf Dienstleistungen – Wertungsbedenken im Verhältnis zu § 248a StGB werden durch § 265a III StGB entschärft. Praktisch führt die Einbeziehung zu keiner Strafbarkeitsausweitung, weil bei Warenentnahmen ohnehin regelmäßig § 242 StGB (oder bei elektronischer Manipulation § 263a StGB) vorgehen und § 265a StGB im Konkurrenzwege zurücktritt. Die weite Lesart beseitigt zudem Abgrenzungsprobleme (z. B. Kopierer, Waschanlagen, Pfand- und Parkscheinautomaten). Damit überzeugt die weite Ansicht, sodass die SB-Zapfsäule hier das Tatbestandsmerkmal des Automaten erfüllt.
2. Erschleichen der Leistung des Automaten
A müsste sich die Leistung der SB-Zapfsäule erschlichen haben. Die Leistung eines Automaten erschleicht, wer durch Umgehen oder Überwinden eines Zugangshindernisses die Leistung erlangt und dabei seine Absicht, das Entgelt nicht zu entrichten, nicht offenlegt. A tankt an der Zapfsäule Benzin in seinen Pkw. Um in den Besitz des Kraftstoffs zu gelangen, muss er jedoch keine Zugangshindernisse umgehen oder überwinden, sondern lediglich ordnungsgemäß die Zapfpistole bedienen. Somit hat A sich die Leistung nicht erschlichen.
II. Ergebnis
A hat sich nicht gem. § 265a I StGB strafbar gemacht.
G. Konkurrenzen
Zwischen dem versuchten Betrug gem. §§ 263 I, II, 22 StGB und der vollendeten Unterschlagung gem. § 246 I StGB besteht Tateinheit, § 52 StGB. Die Unterschlagung tritt jedoch im Wege der formellen Subsidiarität, § 246 I Hs. 2 StGB, hinter § 263 StGB zurück [12]BGH NJW 2012, 1092; Hecker, JuS 2025, 887..
Vernetztes Lernen: Weiterer Fall zum sog. SchwarztankenSchau dir zum Thema Schwarztanken auch gerne unseren Fall „Benzin für alle, keiner zahlt“ auf der examensgerecht-Seite an – hier wird ebenfalls ein „Tankstellen-Fall“ behandelt.
Lösung der Abwandlung:
A. Strafbarkeit gem. § 263 I StGB
A könnte sich gem. § 263 I StGB wegen Betrugs gegenüber und zulasten der B strafbar gemacht haben, indem er zahlungsunwillig Benzin tankte und damit davonfuhr.
I. Objektiver Tatbestand
1. Täuschung über Tatsachen
A müsste über Tatsachen getäuscht haben. Indem er als Kunde auftritt und sich wie ein solcher verhält, bringt er gegenüber B durch schlüssiges Verhalten zum Ausdruck, dass er zahlungswillig sei, obwohl dies tatsächlich nicht der Fall ist – mithin täuscht er B über seine Zahlungsabsichten als innere Tatsache. Durch diese Täuschung wurde ein entsprechender Irrtum bei B bewirkt, mit der Folge, dass diese dem A das Einfüllen des Benzins gestattet indem sie es nicht durch Einschreiten beendet. Diese Vermögensverfügung führt dazu, dass B den Besitz am Benzin verliert, ohne dass dem ein gleichwertiger Vermögensvorteil für sie gegenübersteht.
2. Kausaler Irrtum
B müsste infolge der Täuschung einem Irrtum unterliegen. B beobachtet den Vorgang und geht – täuschungsbedingt – davon aus, A werde ordnungsgemäß zur Kasse gehen bzw. spätestens bei der Ausfahrt bezahlen. Ein Irrtum liegt damit vor.
3. Kausale Vermögensverfügung
Aufgrund des Irrtums müsste die B über ihr Vermögen verfügt haben. Als Vermögensverfügung ist jedes freiwillige Verhalten (Tun oder Unterlassen) anzusehen, das unmittelbar zu einer Vermögensminderung führt. B sieht aufgrund des Irrtums über die Zahlungsbereitschaft des A freiwillig davon ab, einzuschreiten (z. B. Not-Aus, Blockieren der Ausfahrt, sofortiges Ansprechen). Dadurch ermöglicht sie es dem A, den Kraftstoff vollständig in sein Kfz zu füllen und wegzufahren. Dieses Unterlassen der A mindert ihr Vermögen unmittelbar um das von A getankte Benzin. Mithin verfügt die B irrtumsbedingt über ihr Vermögen.
Vernetztes Lernen:Wie wäre der Fall im Rahmen des § 263 I zu beurteilen, wenn die den A beobachtende B eine Mitarbeiterin des Tankstellenbetreibers C gewesen wäre?In diesem Szenario fallen Verfügende (Mitarbeiterin B) und Geschädigter (Eigentümer des Kraftstoff C) auseinander. Es könnte sich somit um einen Fall des sog. Dreiecksbetrugs handeln. Die Annahme eines Betrugs setzt hier einen Irrtum der B und eine Vermögensverfügung, die dem Vermögen des C zugerechnet werden kann, voraus.
Die sog. Lagertheorie löst das Zurechnungsproblem über die Stellung des Getäuschten in der Vermögenssphäre des Geschädigten: B müsse dem „Lager“ des C zugehören, also in einem objektiven Näheverhältnis zur Sache stehen und typischerweise als Mitgewahrsamsinhaber/Gewahrsamshüter Vermögensinteressen des C wahren; die Verfügung (auch durch Unterlassen von Sicherungsmaßnahmen) muss sich innerhalb dieser Hüteraufgabe vollziehen. Hier ist B als Mitarbeiterin gerade dazu eingesetzt, Zapfvorgänge zu überwachen, Freigaben zu erteilen bzw. zu unterbinden und Zahlungsvorgänge zu kontrollieren. Nach der Lagertheorie agiert B in C’s Vermögenssphäre als Hüterin des Waren-/Geldflusses; ihr irrtumsbedingtes Gewährenlassen (z. B. kein Eingriff, keine Sperre, Wegfahren zulassen) stellt eine dem C zurechenbare Vermögensverfügung dar.
Demgegenüber fordert die sog. Ermächtigungs-/Befugnistheorie eine Kompetenzzuweisung. Nach dieser Ansicht wird dem C die Vermögensverfügung zugerechnet, wenn B zu der disponierenden Handlung ermächtigt ist (Vollmacht, Auftrag) oder eine gesetzlich/organisatorisch begründete Befugnis hat (z. B. Organ, gesetzlicher Vertreter, hoheitliche Rolle). Nach der Ermächtigungs-/Befugnistheorie verfügt B über eine organisatorische Befugnis, in ihrer Funktion über den Waren-/Leistungsabfluss mitzuentscheiden. Lässt sie wegen des durch A erzeugten Irrtums den Vorgang ablaufen, bewegt sie sich – ihrer irrtumsbedingten Vorstellung nach – innerhalb dieses objektiv eingeräumten Rahmens; die Vermögensdisposition ist C dann auch nach dieser Ansicht zuzurechnen.
Die sog. Nähetheorie stellt für eine Zurechnung auf die tatsächliche Sachnähe des Getäuschten ab: Für einen Dreiecksbetrug genügt, wenn der Dritte dem Vermögen nähersteht als der Täter, weil er bereits vor der Täuschung kraft Sachherrschaft tatsächlich verfügen kann; überträgt er täuschungsbedingt seinen bestehenden Gewahrsam, liegt eine zurechenbare Vermögensverfügung vor. Hier hat B vor der Täuschung faktische Verfügungsnähe zum Waren-/Geldfluss (Sperren, Eingreifen, Freigaben); ihr irrtumsbedingtes Gewährenlassen[13]vgl. Schönke/Schröder/Perron Rn. 57; SSW-StGB/Satzger Rn. 175; LK-StGB/Tiedemann Rn. 102; s. hierzu auch MüKoStGB/Hefendehl StGB § 263 Rn. 388; vgl. Mitsch StrafR BT/2 S. 295. ist eine zurechenbare Verfügung zulasten des C.
Damit führen vorliegend alle drei Theorien zur Zurechnung der von B bewirkten Verfügung an C.
Ist ein Streitentscheid erforderlich, lässt sich – gerade im ersten Examen – grundsätzlich jeder der oben genannten Ansichten vertreten – natürlich immer nur mit einer guten Begründung und Argumentation. Für die Lagertheorie spricht jedoch vor allem, dass sie mit der überwiegenden, ebenfalls faktisch orientierten Auslegung der Merkmale der Vermögensverfügung und des Vermögensschadens kongruent ist und sich insofern um eine betrugsspezifische Bestimmung des Zurechnungsverhältnisses bemüht[14]vgl. hierzu auch Geiger JuS 1992, 835; Geppert JuS 1977, 72; Gribbohm JuS 1964, 236; Hauf JA 1995, 462; LK-StGB/Lackner, 10. Aufl. 1988, Rn. 110–115; Lenckner JZ 1966, 320 f.; … Continue reading.
4. Vermögensschaden
Bei B müsste durch die Vermögensverfügung ein Vermögensschaden eingetreten sein. Ein Schaden im Sinne des § 263 I StGB ist der Negativsaldo, der sich bei einem Vergleich der Vermögensmassen vor und nach der irrtumsbedingten Vermögensverfügung ergibt. Nach dem Gewährenlassen des Tankens und dem Wegfahren ohne Zahlvorgang ist die Vermögensmasse der B im Vergleich zu vorher um die Menge des von A getankten Benzins gemindert. Eine etwaige Kaufpreisforderung gegen A ist nicht gleichwertig, weil A von Anfang an nicht zu zahlen beabsichtigt hatte und sich sofort entfernt. Somit ist die Forderung kaum realisierbar und damit praktisch wertlos. Das genügt als schadensgleiche Vermögensgefährdung im Sinne der Gesamtsaldierung. Damit erlitt die B durch die Vermögensverfügung einen Vermögensschaden.
5. Zwischenergebnis
Der objektive Tatbestand ist erfüllt.
II. Subjektiver Tatbestand
A müsste vorsätzlich gehandelt haben. A wollte die B durch sein Verhalten bewusst konkludent über seine Zahlungsbereitschaft täuschen, um bei ihr einen Irrtum auszulösen, der sie dazu bewegen sollte, ihn tanken und die Tankstelle mit dem Benzin verlassen zu lassen, wodurch er ihr Vermögen um diese Menge Benzin mindern wollte.
Des Weiteren müsste A mit der Absicht rechtswidriger, stoffgleicher Bereicherung gehandelt haben. A kam es gerade darauf an, sein Vermögen um das an der Tankstelle getankte Benzin zu mehren. Dieser erstrebte Vorteil korrespondiert stoffgleich mit dem Schaden der B und ist mangels Rechtsanspruchs auf ihn rechtswidrig. A wusste auch, dass er keinen Anspruch auf die Verschaffung des Benzins hat. Folglich handelte A mit der erforderlichen Bereicherungsabsicht.
III. Rechtswidrigkeit und Schuld
A handelte rechtswidrig und schuldhaft.
IV. Ergebnis
A hat sich wegen Betrugs gem. § 263 I StGB strafbar gemacht.
Zusatzfrage
Für Assessorkandidat:innen: Welche Nebenstrafen und Einziehungsanträge kämen im Falle einer Anklage/eines Strafbefehls bzw. bei Durchführung der Hauptverhandlung in Betracht?Hinsichtlich des durch die Tat erlangten Kraftstoffs ist an dessen Einziehung gem.§ 73 I StGB bzw. an die Einziehung dessen Wertes nach § 73c StGB zu denken.
Des Weiteren ist die Entziehung der Fahrerlaubnis gem. § 69 I StGB in Betracht zu ziehen. Insbesondere bei Mehrfachtaten kann eine charakterliche Ungeeignetheit zum Führen von Kfz vorliegen. Auch eine Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis nach § 69a StGB kommt in Betracht.
Der Anstellungsbetrug ist ein Eingehungsbetrug; entscheidend ist also eine ex-ante-Gesamtsaldierung der bei Vertragsschluss begründeten Ansprüche.
Ein Schaden in Form eines Gefährdungsschadens liegt vor, wenn der Bewerber die geschuldete Arbeitsleistung voraussichtlich nicht erbringen kann (fehlende fachliche Qualifikation, nicht beherrschbares Krankheitsrisiko). Entspricht hingegen die tatsächlich geleistete der vertraglich geschuldeten Leistung, so liegt kein Vermögensschaden vor, da die geldlichen Leistungen durch die zugesagten und geleisteten Dienste als Äquivalent kompensiert werden [15]BGH 9.5.1978 – StR 104/78, NJW 1978, 2042 (2043); 21.7.1961 – 4 StR 93/61, NJW 1961, 2027 (2028); OLG Celle 28.1.1960 – 1 Ss 350/59, MDR 1960, 696 (697)..
Ohne Prognose ist ein Schaden sofort zu bejahen, wenn über entlohnungsbestimmende, leistungsunabhängige Faktoren getäuscht wird (z. B. Dienstjahre, Alter, Familienstand); die höhere Gehaltseinstufung ist wertbildend[16]Jahn JA 1999, 630; Otto JZ 1999, 738 (739); Geppert FS Hirsch, 1999, 525 (541); Ransiek in Fischer ua, Dogmatik und Praxis des strafrechtlichen Vermögensschadens, S. 285 (289); Graf/Jäger/Wittig/G. … Continue reading. Kein Vermögensschaden entsteht demgegenüber, wenn formale Defizite ohne Leistungsrelevanz vorliegen, die Arbeit aber den vertraglichen Anforderungen entspricht (etwa zweites Referendariat, frühere IM-Tätigkeit, manipulierte Veröffentlichungen – solange die geforderte Leistung erbracht werden kann)[17]MüKoStGB/Hefendehl StGB § 263 Rn. 836..
Zusammenfassung
1. War das Bestreben des Täters von Anfang an darauf gerichtet, an einer Selbstbedienungstankstelle Benzin an sich zu bringen, ohne den Kaufpreis zu entrichten, so ist er grundsätzlich nicht wegen Diebstahls oder Unterschlagung strafbar.
2. Wenn der nicht zahlungsbereite Täter tankt, liegt mangels Irrtumserregung kein vollendeter Betrug vor, wenn das Betanken des Fahrzeugs vom Kassenpersonal überhaupt nicht bemerkt wird. In einem solchen Fall ist jedoch regelmäßig vom Tatbestand des versuchten Betrugs auszugehen.