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Verbrenner auf dem E-Lade-Parkplatz

VG Hamburg, Urt. v. 18.03.2025 – 21 K 3886/24

Sachverhalt (abgewandelt und gekürzt)

Der A ist Fahrer eines Autos mit Verbrennungsmotor. Regelmäßig fährt er in den Stadtteil K in der Stadt S, die in Niedersachsen liegt. Ein Parkplatz in der Nähe von dem Ort, wo er regelmäßig hinfährt, ist von der zuständigen Stadt (Ordnungsamt) beschildert worden mit dem Verkehrseichen 314 (Parken), darunter mit dem Zusatzzeichen „E-Fahrzeuge“ (§ 39 Abs. 10 StVO) und darunter mit dem Zusatzzeichen Nr. 1053-54 „während des Ladevorgangs“ und darunter mit dem Zeichen „für eine Stunde mit Parkscheibe“.

A hatte bemerkt, dass in den vergangenen 3 Jahren jedoch nie Fahrzeuge dort parkten und zuletzt Bauarbeiten stattfanden. Eines Tages, als es besonders schwierig für ihn war einen anderen Parkplatz zu finden, schaute er nach und stellte fest, dass die Ladesäule außer Betrieb war. Zwar stand dort bereits das Gehäuse einer Ladesäule, aber auf der Ladesäule war ein großes Schild (DIN-A3) angebracht auf dem stand: „Wir bauen für die Mobilität der Zukunft – In Zukunft können Sie hier mit 150 kW laden.“ Außerdem war noch Baustellen-Materialien um die Ladesäule herum und weder ein Ladekabel noch eine Steckdose erkennbar. Dies ist so faktisch richtig.

A parkte auf dem Parkplatz. Er dachte sich, solange dort auf dem Parkplatz gar nicht geladen werden kann, könne er die Beschilderung ignorieren. Dann sei es wie ein normaler Parkplatz zu behandeln. Er legte eine Parkscheibe ein und plante nicht länger als 1 Stunde dort zu parken.

Kurz darauf kommt jedoch der zuständige Mitarbeiter M des Ordnungsamts der Stadt S und stellt zunächst fest, dass das Fahrzeug dort geparkt ist und lässt das Fahrzeug 40 Minuten später von einem privaten Abschleppunternehmen abschleppen. In der Nähe war kein anderer Parkplatz frei, auf den das Fahrzeug hätte abgestellt werden können.

Der A ist empört, holt das Auto aber später am gleichen Tag beim Abschleppunternehmen ab. Er wird noch empörter, als er einige Tage später zunächst ein Anhörungsschreiben erhält und beantwortet. Wieder einige Tage später, am 29.05.2025, erhält er einen Kostenbescheid, in dem er aufgefordert wird, 430 EUR für Verwaltungsgebühren und Kosten für das Abschleppen zu bezahlen. Der Bescheid ist in der Höhe rechnerisch korrekt.

Dem Bescheid ist eine Rechtsbehelfsbelehrung beigefügt. In dieser heißt es: „Gegen diesen Bescheid können Sie binnen 4 Wochen Widerspruch bei der Stadt S einlegen.“

Zwar bezahlt A den geforderten Betrag, er will sich jedoch nicht mit dem Bescheid abfinden. Er meint, dass es doch nicht rechtmäßig sein könne, dass er abgeschleppt werde und die Kosten tragen müsste, obwohl überhaupt kein Ladevorgang auf dem Parkplatz absolviert werden kann. Er meint, wenn die Behörde recht hätte, könnte der Parkplatz überhaupt nicht genutzt werden, weil doch selbst für E-Fahrzeuge der Parkplatz nur während des Ladevorgangs, den es ja nicht geben könne, nutzbar sei.

Die Stadt S meint, dass es darauf nicht ankomme. Zwar sei es richtig, dass die Baumaßnahmen zur Erneuerung der alten Ladesäule, die vor ungefähr 3 Jahren kaputt gegangen sei, weiterhin anhielten. Die Beschilderung sei jedoch eindeutig gewesen. Es könne auch nicht erwartet werden, dass die Mitarbeiter der Stadt zunächst prüfen, ob eine Ladesäule im Moment benutzt werden kann. Das Fahrzeug sei verkehrswidrig abgestellt gewesen und deshalb sei das Abschleppen gerechtfertigt. Die Beschilderung sei entscheidend und die sei eindeutig.

A erhebt am 14.07.2025 Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht gegen den Gebührenbescheid gegen die Stadt S, den richtigen Klagegegner. Er will auch die bereits bezahlten 430 EUR erstattet bekommen.

Hat seine Klage Aussicht auf Erfolg?

Anmerkung: In Niedersachsen ist aufgrund von § 80 I NJG kein Vorverfahren durchzuführen.


Skizze

Gutachten

Die Klage hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und soweit sie begründet ist.

A. Zulässigkeit

Die Klage müsste zunächst zulässig sein.

I. Eröffnung des Verwaltungsrechtswegs

Mangels aufdrängender Sonderzuweisung ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 I S. 1 VwGO eröffnet, wenn es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art handelt und keine abdrängende Sonderzuweisung vorliegt.

Nach der modifizierten Subjektstheorie ist eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich, wenn die streitentscheidende Norm eine solche des öffentlichen Rechts ist, also einen Hoheitsträger einseitig berechtigt oder verpflichtet.

Streitentscheidend ist hier, ob die Kosten für das Abschleppen dem A hätten auferlegt werden dürfen. Dies richtet sich nach den §§ 64, 66 I, 70 NPOG. Dabei handelt es sich um Normen, die die Stadt berechtigen, die Kosten für Zwangsmaßnahmen Bürger:innen aufzuerlegen, und somit um öffentlich-rechtliche Vorschriften.

Anmerkung: Rechtsgrundlage in anderen Bundesländern
In den meisten Bundesländern wird das Abschleppen als Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung beurteilt, wenn es der Behörde nicht darauf ankommt, das Fahrzeug sicherzustellen, also von dem Fahrzeug ausgehende Gefahren zu beseitigen. Anders aber z.B. in Hamburg. Streitentscheidende Norm ist dort § 14 HmbSOG, die Rechtsgrundlage für die Sicherstellung. So auch in der dieser Bearbeitung zu Grunde liegenden Entscheidung.

Mangels doppelter Verfassungsunmittelbarkeit liegt auch keine verfassungsrechtliche Streitigkeit vor. Außerdem handelte die Behörde nicht repressiv, weshalb die abdrängende Sonderzuweisung des § 23 EGGVG keine Anwendung findet.

II. Statthafte Klageart

Die statthafte Klageart richtet sich nach dem klägerischen Begehren, § 88 VwGO. Der A will sich zum einen gegen den Kostenbescheid wenden. Bei dem Kostenbescheid handelt es sich um einen Verwaltungsakt. Dies kann mit einer Anfechtungsklage nach § 42 I VwGO verfolgt werden.

Wenn sich der Bescheid bereits erledigt hätte, könnte jedoch eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 I S. 4 VwGO analog statthaft sein. Ein Bescheid ist erledigt, wenn die mit dem Verwaltungsakt verbundene rechtliche oder tatsächliche wesentliche Beschwer nachträglich weggefallen ist. Erledigung tritt jedoch dann nicht ein, wenn der Verwaltungsakt weiterhin rechtliche Wirkung entfaltet. Wäre der Bescheid erledigt, wäre auch der Rechtsgrund für das Behaltendürfen der gezahlten Gebühren und Kosten in Höhe von 430 € bereits entfallen und diese müsste dementsprechend zurückgezahlt werden. Der Verwaltungsakt entfaltet also weiterhin rechtliche Wirkung, als Rechtsgrund für die Zahlung. Dies wird auch systematisch davon gestützt, dass § 113 I S. 2 VwGO davon ausgeht, dass auch bei einem rechtswidrigen Verwaltungsakt zunächst dessen Rechtswidrigkeit geltend gemacht werden muss, bevor die Rückabwicklung etwaiger Leistungen erfolgen kann. Eine Erledigung ist bei vollzogenen Verwaltungsakten deshalb erst anzunehmen, wenn die Vollzugsfolgen nicht mehr rückgängig gemacht werden können.

Zugleich will A die bereits gezahlten Beträge zurückerstattet bekommen. Dies kann er mit einem Annexantrag nach § 113 I S. 2 VwGO im gleichen Verfahren verfolgen.

Anmerkung: Annexantrag
Der Annexantrag ist dann statthaft, wenn der Verwaltungsakt bereits vollzogen ist, § 113 I S. 2 VwGO, und die Sache spruchreif ist (S. 3). Eine Leistungsklage wäre nur statthaft, wenn sich das Klagebegehren darin erschöpfen würde, dass A eine Leistung (als Realakt) begehrt.

III. Klagebefugnis

Um Popularklagen auszuschließen, muss A nach § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt sein. Die Klagebefugnis liegt vor, wenn i.S.d. Möglichkeitstheorie nicht von vornherein ausgeschlossen werden kann, dass der Bescheid den Antragssteller in seinen Rechten verletzt. Jedenfalls könnte A als Adressat eines belastenden Verwaltungsakts in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 I GG verletzt sein. Die Antragsbefugnis ist gegeben.

IV. Vorverfahren

Gem. § 68 VwGO ist grundsätzlich ein Vorverfahren durchzuführen. Dies gilt gem. § 80 I NJG nicht in Niedersachsen. Es ist auch keine Ausnahme nach § 80 II NJG einschlägig.

V. Klagefrist

Nach § 74 I VwGO beträgt die Klagefrist einen Monat. Der Bescheid wurde am 29.05.2025 zugestellt. Die Frist begann gem. §§ 57 VwGO i.V.m. 222 ZPO i.V.m. § 187 BGB am 30.06.2025 und endete gem. § 188 BGB am 29.06.2025 um 24 Uhr. Die Klage wurde erst am 14.07.2025 erhoben und damit nach Ablauf der Frist.

Es könnte jedoch die Jahresfrist nach § 58 II VwGO maßgeblich sein, wenn die Rechtsbehelfsbelehrung fehlerhaft gewesen wäre. Die Rechtsbehelfsbelehrung muss in korrekter Weise über den zulässigen Rechtsbehelf aufklären. Dazu gehört als Mindestbestandteil die Bezeichnung des Rechtsbehelfs sowie die einzuhaltende Frist und die Stelle, bei der der Rechtsbehelf eingelegt werden kann. Zunächst bezeichnet der Bescheid den Widerspruch als zulässiges Rechtsmittel. Das ist jedoch wie soeben gesehen fehlerhaft, da gem. § 80 I NJG kein Vorverfahren durchzuführen ist. Außerdem enthält der Bescheid den Verweis auf eine Frist von 4 Wochen. Tatsächlich beträgt die Frist jedoch nach § 74 I VwGO (sowie auch die Frist nach § 70 I VwGO für den Widerspruch) einen Monat. Damit ist die Rechtsbehelfsbelehrung in zweierlei Hinsicht fehlerhaft. Mithin ist die Jahresfrist gem. § 58 II VwGO maßgeblich. Die Klageerhebung am 14.07.2025 ist nicht verfristet.

Vernetztes Lernen: Ist eine Rechtsbehelfsbelehrung rechtmäßig, die darauf hinweist, dass die Klage „schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle“ zu erheben ist, aber nicht auf die Möglichkeit der elektronischen Erhebung der Klage hinweist?

Nach § 55a I VwGO kann eine Klage auch elektronisch erhoben werden. Fraglich ist, ob darauf in der Rechtsbehelfsbelehrung hinzuweisen ist. Da die Formulierung in § 81 I VwGO auch nach der Einführung der Norm nicht geändert worden ist, sondern es dort weiterhin heißt, dass die Klage „schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten“ zu erheben ist, spricht das systematische Argument dafür, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass es sich bei § 55a VwGO um eine die schriftformersetzende Form handelt, also auch eine elektronische Klageerhebung „schriftlich“ ist. So hat es auch das BVerwG mit Urteil vom 25.01.2021 – 9 C 8.19 entschieden.
Eine entsprechende Belehrung ist also rechtmäßig und löst nicht die Jahresfrist des § 58 VwGO aus.

VI. Klagegegner

Laut Sachverhalt richtet A seine Klage gegen die Stadt S, als die richtige Klagegegnerin, § 78 I Nr. 1 VwGO.

VII. Beteiligten- und Prozessfähigkeit

A ist gem. § 61 Nr. 1 VwGO beteiligten- und nach § 62 I Nr. 1 VwGO prozessfähig. Die Stadt S ist gem. § 61 Nr. 2 VwGO beteiligten- und nach § 62 III VwGO prozessfähig. Sie wird durch den Hauptverwaltungsbeamten nach § 86 NKomVG vertreten.

VIII. Zwischenergebnis

Die Klage des A ist zulässig.

Anmerkung: Keine Prüfung der objektiven Klagehäufung
Da § 113 I 2 VwGO einen Fall der gesetzlich geregelten Klagehäufung darstellt, ist ein Annexantrag stets zulässig. Auf eine Prüfung von § 44 VwGO sollte deshalb verzichtet werden.

B. Begründetheit

Die Klage ist begründet, wenn der Verwaltungsakt rechtswidrig ist und den A in seinen Rechten verletzt, § 113 I S. 1 VwGO. Der Annexantrag ist begründet, wenn A einen Anspruch auf Rückgängigmachung der Vollzugsfolgen hat und die Sache spruchreif ist.

I. Begründetheit der Anfechtungsklage

Zunächst müsste die Anfechtungsklage begründet sein.

1. Ermächtigungsgrundlage

Da es sich bei dem Kostenbescheid um einen belastenden Verwaltungsakt handelt, bedarf die Behörde einer Rechtsgrundlage. Ermächtigungsgrundlage für den Erlass des Kostenbescheids ist § 66 I S. 1 NPOG. Die Vorschrift sieht vor, dass eine Ersatzvornahme nach §§ 64, 66 NPOG auf Kosten der pflichtigen Person vorgenommen werden kann.

Anmerkung: Abgrenzung zur Sicherstellung
Wie bereits zuvor gesehen, wird in einigen Bundesländern vertreten, dass das Abschleppen eine Sicherstellung darstellt. Das ist darin begründet, dass nach einer Ansicht die Sicherstellung immer dann vorliegt, wenn die Ordnungsbehörde die Sachherrschaft über eine Sache ausübt. Diese Voraussetzungen wären hier erfüllt. Dann wäre nach niedersächsischem Recht § 29 III S. 1 NPOG als Rechtsgrundlage für den Kostenbescheid einschlägig. In Niedersachsen (und vielen anderen Bundesländern) wird jedoch eine Sicherstellung nur dann angenommen, wenn es der Ordnungsbehörde gerade darauf ankommt, die Sache in Verwahrung zu nehmen, bzw. wenn die Gefahr von der Sache ausgeht. Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Dies kann auch kurz in der Lösung angesprochen werden, stellt jedoch regelmäßig keinen Schwerpunkt der Prüfung dar.

2. Formelle Rechtmäßigkeit

Der Bescheid müsste formell rechtmäßig ergangen sein. Nach § 66 I S. 1 NPOG ist die Behörde für den Erlass des Kostenbescheids zuständig, die die Ersatzvornahme vorgenommen hat. Das ist hier die Stadt S durch das Ordnungsamt. Die Anhörung nach § 28 VwVfG ist auch erfolgt. Diese ist auch nicht nach § 28 II Nr. 5 VwVfG entbehrlich, da es sich bei dem Erlass des Kostenbescheids auch nicht um eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung handelt.

3. Materielle Rechtmäßigkeit

Der Bescheid müsste auch materiell rechtmäßig ergangen sein. Das ist der Fall, wenn die zu Grunde liegende Maßnahme rechtmäßig war (Kostengrund) und der Kostensatz (Kostenhöhe) ordnungsgemäß war.

a) Rechtmäßigkeit der Ersatzvornahme

  Die Ersatzvornahme müsste rechtmäßig gewesen sein.

aa) Rechtsgrundlage der Ersatzvornahme

Die Ersatzvornahme kann entweder als Maßnahme im gestreckten Verfahren nach §§ 64 I, 66 NPOG erfolgen, wenn ein wirksamer Grundverwaltungsakt vorliegt oder bei Fehlen eines wirksamen Grundverwaltungsakts als Maßnahme des Sofortvollzugs unter den zusätzlichen Voraussetzungen des § 64 II NPOG.

Anlass für die Abschleppmaßnahme waren die Verkehrszeichen, die an dem Parkplatz angebracht waren und das Parken nur unter bestimmten Voraussetzungen zuließen. Verkehrszeichen sind Verwaltungsakte in Form von Allgemeinverfügungen i.S.v. § 35 S. 2 Alt. 3 VwVfG. Ein Verwaltungsakt wird grundsätzlich wirksam, wenn er den Adressaten nach § 43 I VwVfG bekannt gegeben wurde. Nach §§ 39 I, 45 IV StVO werden Verkehrszeichen als Allgemeinverfügungen durch das Aufstellen des jeweiligen Verkehrszeichens bekannt gemacht. Dafür müssen die Verkehrszeichen so aufgestellt sein, dass ein durchschnittlicher Kraftfahrer bei Einhaltung der nach § 1 StVO erforderlichen Sorgfalt sie schon mit einem raschen und beiläufigen Blick erfassen kann. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, entfalten die Verkehrszeichen ihre Wirksamkeit gegenüber jedem von der Regelung Betroffenen, unabhängig davon, ob die Person im Einzelnen das Verkehrszeichen wahrgenommen hat oder nicht.[1]Siehe zum ganzen Absatz: BVerwG, NJW 2016, 2353, 2354 Rn. 16. Dazu gehören auch diejenigen, die ein Fahrzeug parken (siehe § 12 StVO). Betroffen sind die Verkehrsteilnehmenden dann, wenn sie sich im Geltungsbereich des entsprechenden Verkehrszeichens befinden.

Hier waren die Verkehrszeichen über dem Parkplatz so angebracht, dass für die Beteiligten erkennbar war, dass eine Parkerlaubnis nur für diejenigen besteht, die die Voraussetzungen (E-Fahrzeug bei einem Ladevorgang, nicht länger als 1 Stunde) erfüllten. Die Verkehrszeichen sind bekannt gegeben. Die Verkehrszeichen bedürfen auch keiner zusätzlichen Verknüpfung mit tatsächlichen Umständen vor Ort. Es ist also für die Frage der Wirksamkeit der Verkehrszeichen unbeachtlich, ob tatsächlich ein Ladevorgang möglich ist.[2]VG Hamburg, Urt. v. 18.03.2025 – 21 K 3886/24, Rn. 34.

Da A das Verkehrszeichen selbst wahrgenommen hat und es lediglich für nicht anwendbar hielt, liegt gegenüber A ein wirksam bekannt gegebenes Verkehrszeichen vor. Mithin ist Rechtsgrundlage für die Ersatzvornahme §§ 64 I i.V.m. 66 NPOG.

bb) formelle Rechtmäßigkeit der Ersatzvornahme

Nach § 64 III NPOG ist die Behörde für die Vollstreckung zuständig, die auch für den Erlass des Grundverwaltungsakts zuständig ist. Beides ist hier die Stadt S, die jeweils durch das Ordnungsamt tätig wurde. Es ist keine Anhörung erfolgt, diese ist jedoch auch jedenfalls nach § 28 II Nr. 5 VwVfG entbehrlich. Hinzu kommt, dass die Ersatzvornahme als Realakt wohl selbst keinen Verwaltungsakt darstellt, weshalb § 28 I VwVfG bereits keine Anwendung findet.

cc) Materielle Rechtmäßigkeit der Ersatzvornahme

Die Ersatzvornahme müsste auch materiell rechtmäßig gewesen sein.

(1) Allgemeine Voraussetzungen der Ersatzvornahme

Es müsste ein Verwaltungsakt mit einem vollstreckbaren Inhalt vorliegen, der unanfechtbar ist oder gegen den ein Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung hat, § 64 I NPOG. Die Verkehrszeichen stellen wirksame Verwaltungsakte dar. Da die Verkehrszeichen ein Sonderparkrecht für bestimmte Verkehrsteilnehmende bestimmen, also das Parkrecht für bestimmte Fahrzeuge beschränken, liegt darin zugleich ein Parkverbot und somit ein Wegfahrgebot für die anderen Verkehrsteilnehmenden.[3]VG Hamburg, Urt. v. 18.03.2025 – 21 K 3886/24, Rn. 32.

Da aus dem Sachverhalt nicht ersichtlich ist, wann der A zum ersten Mal in den Anwendungsbereich des Verkehrszeichens gekommen ist,[4]Siehe zu dieser Frage: BVerwG Urt. v. 23.09.2010 – 3 C 37.09NJW 2011, 246, 247 Rn. 18. könnte gegebenenfalls die Jahresfrist nach § 58 VwGO noch nicht abgelaufen und der Verwaltungsakt somit mangels Rechtsbehelfsbelehrung noch anfechtbar sein. Darauf kommt es jedoch nicht an, wenn der Grundverwaltungsakt sofort vollziehbar ist. Nach § 80 II VwGO entfällt die aufschiebende Wirkung u.a. nach Nr. 2 bei unaufschiebbaren Anordnungen und Maßnahmen von Polizeivollzugsbeamten. Wie soeben gesehen, ist die Stadt S für das Aufstellen der Verkehrszeichen zuständig. Dabei handelt es sich nicht um eine Anordnung der Polizei. Jedoch entspricht die Interessenlage bei der Aufstellung von Verkehrszeichen der Interessenlage bei der Anordnung von Polizeibeamten. Anstelle eines Verkehrszeichens könnte ebenso ein:e Verkehrspolizist:in an die Position des Verkehrsschilds „gestellt“ werden, der:die jedem vorbeifahrenden Fahrzeug die Verkehrsregel aufzeigt oder zuruft. Es ergibt sich aus der Norm eine wohl nicht intendierte Regelungslücke, da die Norm vom Wortlaut nicht das Aufstellen von Verkehrszeichen umfasst. Deshalb wird nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts § 80 II Nr. 2 VwGO analog auf Verkehrszeichen angewandt.[5]BVerwG, Beschl. v. 26.01.1988 – 7 B 189/87, NVwZ 1988, 623, 624. Das Verkehrszeichen ist mithin sofort vollziehbar und ein Rechtsbehelf hätte jedenfalls deshalb keine aufschiebende Wirkung.

(2) Besondere Voraussetzungen der Zwangsvollstreckung

Gem. § 70 I S. 1 NPOG ist die Ersatzvornahme, wenn möglich schriftlich, anzudrohen. Das ist hier nicht erfolgt. Nach § 70 I S. 3 NPOG kann jedoch von der Androhung abgesehen werden, wenn die Umstände im Einzelfall dies nicht zulassen. Da der A nicht am Fahrzeug war und auch keine Kontaktmöglichkeiten hinterlassen hatte, war eine Androhung nach den Umständen nicht möglich.

(3) Ermessen

Die Vornahme der Zwangsvollstreckung müsste ermessensfehlerfrei gewesen sein. Der Behörde stand nach § 64 I NPOG Ermessen zu. Die Ersatzvornahme müsste insbesondere verhältnismäßig sein.

(a) legitimes Ziel

Die Ersatzvornahme verfolgt das Ziel die Einhaltung der Verkehrsvorschriften (welches die Anordnung des Parkverbots für nicht bevorrechtigte Fahrzeuge enthält) und die Nutzbarkeit des Parkplatzes für die Bevorrechtigten Fahrzeuge durchzusetzen. Dabei handelt es sich um ein legitimes Ziel.

(b) Geeignetheit

Die Ersatzvornahme müsste zur Zielerreichung auch geeignet sein. Das ist der Fall, wenn die Maßnahme die Zielerreichung fördern kann. Die Einhaltung der Verkehrsvorschriften kann durch die Durchsetzung von bestehenden Verboten gefördert werden. Dafür ist es auch unerheblich, ob ein anderes, bevorrechtigtes Fahrzeug im Einzelnen an der Nutzung gehindert wird.[6]BVerwG, Urt. v. 09.04.2013 – 3 C 5.13, NJW 2014, 2888, 2889, Rn. 12 ff.

(c) Erforderlichkeit

Es dürfte auch kein milderes, gleich geeignetes Mittel vorhanden gewesen sein. Da eine Umsetzung auf einen anderen Parkplatz in der Nähe mangels freier Parkplätze nicht möglich war, bestand kein milderes gleich geeignetes Mittel.

(d) Angemessenheit

Die Maßnahme müsste auch angemessen gewesen sein. Das ist der Fall, wenn die Maßnahme zum verfolgten Ziel nicht außer Verhältnis steht. Dafür sind die Umstände im Einzelfall in den Blick zu nehmen und ist aufgrund dessen eine angemessene Entscheidung zu treffen. So kann es im Einzelfall unangemessen sein, ein Fahrzeug allein wegen eines Verstoßes, wenn eine Behinderung für andere ausgeschlossen ist, abzuschleppen. Das könnte z.B. der Fall sein, wenn ein Fahrzeug so auf dem Gehweg abgestellt ist, dass eine Behinderung für die anderen Verkehrsteilnehmenden (auch für die Gehwegnutzenden) nicht denkbar ist und damit das Abschleppen ausschließlich einen generalpräventiven Zweck verfolgt.[7]BVerwG, Urt. v. 09.04.2013 – 3 C 5.13, NJW 2014, 2888, 2889, Rn. 12. Es muss jedoch keine Behinderung anderer Verkehrsteilnehmenden oder eine geplante Nutzung durch die von den Verkehrszeichen Bevorrechtigten im Einzelnen vorliegen. Auch besteht keine Pflicht zum Abwarten oder zur Ermittlung des Bedarfs für den bevorrechtigten Parkplatz im Einzelfall.[8]BVerwG, Beschl. v. 11.08.2003 – 3 B 74/03, BeckRS 2003, 24541. Nur so kann dem mit der Einrichtung von bevorrechtigten Parkplätzen im Einzelfall verfolgten Zweck effektiv Rechnung getragen werden. Nach der Wertung des Gesetzgebers sollen die Bevorrechtigten darauf vertrauen können, dass die ihnen zugewiesenen Parkplätze auch ihnen zur Verfügung stehen.[9]VG Hamburg, Urt. v. 18.03.2025 – 21 K 3886/24, Rn. 37.

Es würde auch dem Zweck der Regelung des Verkehrs durch Verkehrszeichen widersprechen, wenn im Einzelnen das Vorliegen der Voraussetzungen aller bei der Aufstellung der Verkehrszeichen bestehenden tatsächlichen Gegebenheiten jeweils erneut geprüft werden müsste.[10]VG Hamburg, Urt. v. 18.03.2025 – 21 K 3886/24, Rn. 38. Davon umfasst ist bei einer Beschilderung wie im vorliegenden Fall auch zu prüfen, ob die Ladesäule voll funktionstüchtig ist. Schließlich könnte ein vorrübergehender Defekt vorliegen, der auch innerhalb kurzer Zeit beseitigt werden kann.

Der Fall könnte jedoch anders zu beurteilen sein, wenn die Funktionsunfähigkeit der Ladesäule offensichtlich war und damit die Voraussetzungen für das bevorrechtigte Parken offensichtlich nicht erfüllt werden konnten. Hier war an der Ladesäule ein Schild (DIN-A3) angebracht, auf dem stand „Wir bauen für die Mobilität der Zukunft – In Zukunft können Sie hier mit 150 KW laden.“ Außerdem waren noch Baustellen-Materialien vorhanden. Es war mithin für jeden erkennbar, dass die Ladesäule außer Betrieb war und dies auch nicht in absehbarer Zeit behoben werden würde. Dafür bedurfte es auch keiner eingehenden Prüfung, sondern es war notwendig, diese atypische Situation in der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit der Entscheidung zu berücksichtigen.

Angesichts der Beschilderung, die bestimmt, dass nur Elektro-Fahrzeuge für 1 Stunde während des Ladevorgangs zum Parken berechtigt waren, konnte bei einer dauerhaft defekten Ladesäule kein Fahrzeug – auch kein Elektro-Fahrzeug – die Voraussetzungen für ein ordnungsgemäßes Parken erfüllen. Der Parkplatz wäre somit dem Verkehr vollständig entzogen.[11]VG Hamburg, Urt. v. 18.03.2025 – 21 K 3886/24, Rn. 39 f. Da der Platz jedoch grundsätzlich als Parkplatz vorgesehen war, ist mit der Nutzung im Allgemeinen keine Behinderung anderer Verkehrsteilnehmenden zu erwarten gewesen. Das Abschleppen verfolgte mithin ausschließlich einen generalpräventiven Zweck und war mithin im Einzelfall unverhältnismäßig.

Anmerkung: OVG Hamburg Entscheidung zu erwarten
Beim OVG Hamburg ist unter dem Aktenzeichen 3 Bf 77/25.Z eine Berufung gegen die Entscheidung anhängig. Damit könnte in Zukunft eine andere Entscheidung erfolgen und die Rechtsauffassung des VG Hamburg an Gewicht verlieren. Rechtlich tragfähig ist eine Argumentation wie hier aber unabhängig vom Ausgang des Verfahrens vor dem OVG Hamburg.
(4) Ergebnis materielle Rechtmäßigkeit der Ersatzvornahme

Die Ersatzvornahme war mithin unverhältnismäßig und deshalb rechtswidrig.

dd) Rechtmäßigkeit der Ersatzvornahme

Die Ersatzvornahme war rechtswidrig.

4. Ergebnis

Der Bescheid erging rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen Rechten. Der Bescheid ist aufzuheben.

II. Erfolgsaussichten des Annexantrags

Der Annexantrag ist begründet, wenn dem A ein Anspruch auf Erstattung der 430 € zusteht.

1. Rechtsgrundlage / Anspruchsgrundlage

Ein Anspruch auf Erstattung könnte sich aus dem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch ergeben. Dabei ist umstritten, ob dieser sich aus einer Analogie zu §§ 812 ff. BGB ergibt oder als eigenständiges öffentlich-rechtliches Institut aus Art. 19 IV, 20 III GG begründet wird.[12]Riese, in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, EL. 46 August 2024, § 113 VwGO Rn. 92. Jedenfalls ist dieser gewohnheitsrechtlich anerkannt.[13]Vom Bundesverwaltungsgericht wird die Rechtsgrundlage nicht weiter diskutiert: BVerwG, Beschl. v. 16.11.2007 – 9 B 36/07NVwZ 2008, 212, 213. Die Voraussetzungen liegen vor, wenn eine öffentlich-rechtliche Leistung ohne Rechtsgrund erfolgt.

a) Rechtsgrundlage

Die Zahlung der 430 € erfolgte auf Grundlage des Kostenbescheids vom 29.05.2025. Dieser ist aufgrund dessen Rechtswidrigkeit aufzuheben. Mithin ist der Rechtsgrund für die Zahlung entfallen und die Zahlung erfolgte rechtsgrundlos.

b) Ergebnis Erstattungsanspruch

Der Erstattungsanspruch ist begründet.

2. Ergebnis Erfolgsaussichten des Annexantrags

Der Annexantrag ist begründet. Dem A steht ein Anspruch auf Erstattung der gezahlten 430 € zu.

III. Ergebnis

Die Anfechtungsklage und der Annexantrag haben Aussicht auf Erfolg.

C. Gesamtergebnis

Die Klage ist zulässig und begründet.

Zusatzfrage

1. Wie ist der Fall zu beurteilen, wenn Verkehrsteilnehmende zunächst rechtmäßig parken, aber nach ihrer Ankunft ein mobiles Verkehrszeichen (Parkverbot) aufgestellt wird? Können den Personen die Kosten des Abschleppens auferlegt werden?

Zunächst ist dieser Fall parallel zu der oben besprochenen Lösung zu bearbeiten. Auch liegt ein ordnungsgemäß bekannt gemachter Verwaltungsakt vor, wenn das Schild so aufgestellt wird, dass es die Anforderungen an die allgemeine Sichtbarkeit (rasche Erkennbarkeit bei Beachtung der nach § 1 StVO verlangten Sorgfalt) erfüllt. Die Bekanntgabe erfolgt gegenüber allen Verkehrsteilnehmenden, die im Anwendungsbereich des Verkehrszeichens sind, auch gegenüber den Haltern der parkenden Fahrzeugen (§ 12 StVO). Auf die Wahrnehmung des Verkehrszeichens kommt es nicht an.
Liegt im Einzelfall eine unzureichende Bekanntgabe vor (z.B. das Schild ist nicht erkennbar), erfolgt die Ersatzvornahme im Sofortvollzug nach §§ 64 II i.V.m. 66 NPOG. Im Unterschied zur Prüfung des Falles, muss dann insbesondere ein rechtmäßiger hypothetischer Grund-VA vorliegen.
In beiden Konstellationen können Probleme im Rahmen der Verhältnismäßigkeit auftreten, z.B. wenn die mit dem mobilen Verkehrszeichen verfolgten Zwecke eine kurzfristige Beseitigung der abgestellten Fahrzeuge nicht rechtfertigen. Wenn dies aber mit einem Vorlauf von einigen Tagen (nach der Rechtsprechung jedenfalls 3 Tage) passiert, ist es regelmäßig nicht unverhältnismäßig, weil die Verkehrsteilnehmenden zur regelmäßigen Prüfung ihres Fahrzeugs verpflichtet sind. Im Einzelfall kann diese Vorlauffrist aber auch kürzer sein, je nachdem, welche Gefahren das Aufstellen des mobilen Verkehrszeichens bzw. das Abschleppen notwendig machen.
Die Kostentragung kann ebenfalls im Einzelfall unverhältnismäßig sein. Auch hierfür wird auf die Pflicht der Verkehrsteilnehmenden zur regelmäßigen Kontrolle (auch) eines geparkten Fahrzeugs abgestellt. Zwar ist das dauerhafte Parken – auch an einer Stelle – grundsätzlich erlaubt. Jedoch ist das Vertrauen in das Fortbestehen der Rechtslage im Straßenverkehr wegen der besonderen gegenseitigen Rücksichtnahmepflicht nach § 1 I StVO von vornherein beschränkt. Deshalb ist eine Abschleppmaßnahme auf Kosten der Parkenden nach Ablauf von 3 Tagen (unabhängig von Werktag / Sonn- und Feiertagen) verhältnismäßig.[14]BVerwG, Urt. v. 24.05.2018 – 3 C 25/16, NJW 2018, 2910, 2911, Rn. 20 ff.


Zusammenfassung

1. Das Abschleppen von Fahrzeugen mit Verbrenner-Motoren von Parkplätzen, die ausschließlich zum Laden von Elektro-Fahrzeugen durch Verkehrszeichen ausgewiesen sind, ist grundsätzlich zulässig. Dafür muss nicht im Einzelfall ein Bedarf für die Nutzung der Parkplätze von der Behörde dargelegt werden. Auch ändert eine vorübergehend defekte Ladesäule an diesen Voraussetzungen nichts.

2. Im Einzelfall kann jedoch dann, wenn die Ladesäule offensichtlich nicht funktionsfähig ist und auch in naher Zukunft nicht in Betrieb genommen werden kann, das Abschleppen eines Verbrenner-Fahrzeugs unverhältnismäßig sein, da unter diesen Voraussetzungen kein anderes Fahrzeug auf dem Parkplatz parken könnte und keine Bevorrechtigung besteht.

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